so närrisch vor, daß Niemand den Mund öffnen wolle, um der Sache rasch und beherzt auf den Grund zu gehn, daß man nicht Anstalt treffe, so oder so Agne- sen beizukommen; sie fühlte sich wenigstens Mannes genug, den bösen Geist, welchen Namen er auch haben, in was für einem Winkel er auch stecken möge, kurz und gut auszutreiben, wenn sie nur erst wüßte, wo- von es sich handelte, wenn nur der Bruder sie eines Winkes würdigen wollte. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf den Präsidenten gerichtet, als dieser anfing, in Beziehung auf Agnesen der Gesellschaft einige Verhaltungsregeln an's Herz zu legen, welche haupt- sächlich darauf hinausliefen: man müsse, so schwer es auch falle, durchaus sein Gefühl verläugnen, in allen Stücken thun, als wäre nichts Besonderes vorgefallen, man müsse bei dem Mädchen durch kein Wort, keine Miene den Grund ihres Kummers, ihrer Absonderung anerkennen; man solle Noltens bei jeder schicklichen Gelegenheit und in Verbindung mit den alltäglichsten Dingen bei ihr erwähnen, u. s. w. Der gute Mann bedachte nicht, daß die Frauenzimmer zu wenig von dem wahren Standpunkte wußten, um den Sinn dieser Vorschriften ganz einzusehn. -- Nannetten war es gewissermaßen behaglich, den Präsidenten unter so be- denklichen Umständen zu beobachten. Wir sprechen, was das Mädchen hiebei empfand, in einer allgemeinen Bemerkung aus.
Es gibt Männer, deren ganze Erscheinung uns
ſo närriſch vor, daß Niemand den Mund öffnen wolle, um der Sache raſch und beherzt auf den Grund zu gehn, daß man nicht Anſtalt treffe, ſo oder ſo Agne- ſen beizukommen; ſie fühlte ſich wenigſtens Mannes genug, den böſen Geiſt, welchen Namen er auch haben, in was für einem Winkel er auch ſtecken möge, kurz und gut auszutreiben, wenn ſie nur erſt wüßte, wo- von es ſich handelte, wenn nur der Bruder ſie eines Winkes würdigen wollte. Ihre ganze Aufmerkſamkeit war auf den Präſidenten gerichtet, als dieſer anfing, in Beziehung auf Agneſen der Geſellſchaft einige Verhaltungsregeln an’s Herz zu legen, welche haupt- ſächlich darauf hinausliefen: man müſſe, ſo ſchwer es auch falle, durchaus ſein Gefühl verläugnen, in allen Stücken thun, als wäre nichts Beſonderes vorgefallen, man müſſe bei dem Mädchen durch kein Wort, keine Miene den Grund ihres Kummers, ihrer Abſonderung anerkennen; man ſolle Noltens bei jeder ſchicklichen Gelegenheit und in Verbindung mit den alltäglichſten Dingen bei ihr erwähnen, u. ſ. w. Der gute Mann bedachte nicht, daß die Frauenzimmer zu wenig von dem wahren Standpunkte wußten, um den Sinn dieſer Vorſchriften ganz einzuſehn. — Nannetten war es gewiſſermaßen behaglich, den Präſidenten unter ſo be- denklichen Umſtänden zu beobachten. Wir ſprechen, was das Mädchen hiebei empfand, in einer allgemeinen Bemerkung aus.
Es gibt Männer, deren ganze Erſcheinung uns
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ſo närriſch vor, daß Niemand den Mund öffnen wolle,
um der Sache raſch und beherzt auf den Grund zu
gehn, daß man nicht Anſtalt treffe, ſo oder ſo Agne-
ſen beizukommen; ſie fühlte ſich wenigſtens Mannes
genug, den böſen Geiſt, welchen Namen er auch haben,
in was für einem Winkel er auch ſtecken möge, kurz
und gut auszutreiben, wenn ſie nur erſt wüßte, wo-
von es ſich handelte, wenn nur der Bruder ſie eines
Winkes würdigen wollte. Ihre ganze Aufmerkſamkeit
war auf den Präſidenten gerichtet, als dieſer anfing,
in Beziehung auf Agneſen der Geſellſchaft einige
Verhaltungsregeln an’s Herz zu legen, welche haupt-
ſächlich darauf hinausliefen: man müſſe, ſo ſchwer es
auch falle, durchaus ſein Gefühl verläugnen, in allen
Stücken thun, als wäre nichts Beſonderes vorgefallen,
man müſſe bei dem Mädchen durch kein Wort, keine
Miene den Grund ihres Kummers, ihrer Abſonderung
anerkennen; man ſolle Noltens bei jeder ſchicklichen
Gelegenheit und in Verbindung mit den alltäglichſten
Dingen bei ihr erwähnen, u. ſ. w. Der gute Mann
bedachte nicht, daß die Frauenzimmer zu wenig von
dem wahren Standpunkte wußten, um den Sinn dieſer
Vorſchriften ganz einzuſehn. — Nannetten war es
gewiſſermaßen behaglich, den Präſidenten unter ſo be-
denklichen Umſtänden zu beobachten. Wir ſprechen,
was das Mädchen hiebei empfand, in einer allgemeinen
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/269>, abgerufen am 24.11.2024.
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