läuft und erkundet die Spuren des leidigen Flücht- lings von Ort zu Ort, bis sie ihn gefunden -- Sie hat ihn gefunden -- da steht er und will sie nicht kennen. Weh mir! wie hab' ich freudigern Empfang gehofft, da ich dir so lange verloren gewesen, und, Liebster, du mir! -- So gar nicht achtest du meines herzlichen Grames, stößest mich von dir wie ein räu- diges Thier, -- das aber leckt mit der Zunge die Füße des Herrn, das aber will von seinem Herrn nicht lassen. -- -- Ihr Leute, was soll's? Warum hilft mir Niemand zu meinem Recht? Sey Zeuge du Himmel, du frommes Gewölbe, daß dieser Jüngling mir zugehört! Er hat mir's geschworen vorlängst auf der Höhe, da er mich fand. Die herbstlichen Winde um's alte Gemäuer vernahmen den Schwur; alljähr- lich noch reden die Winde von dem glückseligen Tag. Ich war wieder dort, und sie sagten: Schön war er als Knabe, wär' er so fromm auch geblieben! Aber die Kinder allein sind wahrhaftig. -- Agnes, was geht sie dich an? Ihr konntest du dein Wort nicht halten; du selbst hast's ihr bekannt, das hat sie krank gemacht, sie klagte mir's den Abend. Warst du ihr ungetreu, ei sieh, dann bist du mir's doppelt gewesen."
Diese lezten Worte fielen dem Maler wie Don- ner auf's Herz. Er wüthete gegen sich selbst, und jammervoll war es zu sehen, wie dieser Mann, taub gegen alle Vernunft, womit der Präsident ihm zusprach, sich im eigentlichen Sinne des Worts, die Haare raufte
läuft und erkundet die Spuren des leidigen Flücht- lings von Ort zu Ort, bis ſie ihn gefunden — Sie hat ihn gefunden — da ſteht er und will ſie nicht kennen. Weh mir! wie hab’ ich freudigern Empfang gehofft, da ich dir ſo lange verloren geweſen, und, Liebſter, du mir! — So gar nicht achteſt du meines herzlichen Grames, ſtößeſt mich von dir wie ein räu- diges Thier, — das aber leckt mit der Zunge die Füße des Herrn, das aber will von ſeinem Herrn nicht laſſen. — — Ihr Leute, was ſoll’s? Warum hilft mir Niemand zu meinem Recht? Sey Zeuge du Himmel, du frommes Gewölbe, daß dieſer Jüngling mir zugehört! Er hat mir’s geſchworen vorlängſt auf der Höhe, da er mich fand. Die herbſtlichen Winde um’s alte Gemäuer vernahmen den Schwur; alljähr- lich noch reden die Winde von dem glückſeligen Tag. Ich war wieder dort, und ſie ſagten: Schön war er als Knabe, wär’ er ſo fromm auch geblieben! Aber die Kinder allein ſind wahrhaftig. — Agnes, was geht ſie dich an? Ihr konnteſt du dein Wort nicht halten; du ſelbſt haſt’s ihr bekannt, das hat ſie krank gemacht, ſie klagte mir’s den Abend. Warſt du ihr ungetreu, ei ſieh, dann biſt du mir’s doppelt geweſen.“
Dieſe lezten Worte fielen dem Maler wie Don- ner auf’s Herz. Er wüthete gegen ſich ſelbſt, und jammervoll war es zu ſehen, wie dieſer Mann, taub gegen alle Vernunft, womit der Präſident ihm zuſprach, ſich im eigentlichen Sinne des Worts, die Haare raufte
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läuft und erkundet die Spuren des leidigen Flücht-
lings von Ort zu Ort, bis ſie ihn gefunden — Sie
hat ihn gefunden — da ſteht er und will ſie nicht
kennen. Weh mir! wie hab’ ich freudigern Empfang
gehofft, da ich dir ſo lange verloren geweſen, und,
Liebſter, du mir! — So gar nicht achteſt du meines
herzlichen Grames, ſtößeſt mich von dir wie ein räu-
diges Thier, — das aber leckt mit der Zunge die
Füße des Herrn, das aber will von ſeinem Herrn
nicht laſſen. — — Ihr Leute, was ſoll’s? Warum
hilft mir Niemand zu meinem Recht? Sey Zeuge du
Himmel, du frommes Gewölbe, daß dieſer Jüngling
mir zugehört! Er hat mir’s geſchworen vorlängſt auf
der Höhe, da er mich fand. Die herbſtlichen Winde
um’s alte Gemäuer vernahmen den Schwur; alljähr-
lich noch reden die Winde von dem glückſeligen Tag.
Ich war wieder dort, und ſie ſagten: Schön war er
als Knabe, wär’ er ſo fromm auch geblieben! Aber
die Kinder allein ſind wahrhaftig. — Agnes, was
geht ſie dich an? Ihr konnteſt du dein Wort nicht
halten; du ſelbſt haſt’s ihr bekannt, das hat ſie krank
gemacht, ſie klagte mir’s den Abend. Warſt du ihr
ungetreu, ei ſieh, dann biſt du mir’s doppelt geweſen.“
Dieſe lezten Worte fielen dem Maler wie Don-
ner auf’s Herz. Er wüthete gegen ſich ſelbſt, und
jammervoll war es zu ſehen, wie dieſer Mann, taub
gegen alle Vernunft, womit der Präſident ihm zuſprach,
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/264>, abgerufen am 24.11.2024.
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