fürchte, die Liebe selber im Tode noch fort. Ich bin die Erwählte! mein ist dieser Mann! Aber er blickt mich nicht an, der Blöde. Laßt uns allein, damit er mich freundlich begrüße!"
Sie tritt auf Theobalden zu, der ihre Hand, wie sie ihn sanft anfassen will, mit Heftigkeit weg- wirft. "Aus meinen Augen, Verderberin! verhaßtes, freches Gespenst! das mir den Fluch nachschleppt, wohin ich immer trete! Auf ewig verwünscht, in die Hölle beschworen sey der Tag, da du mir zum Ersten- male begegnet! Wie muß ich es büßen, daß mich als arglosen Knaben das heiligste Gefühl zu dir, zu dei- nem Unglück mitleidig hinzog, in welche schändliche Wuth hat deine schwesterliche Neigung, in was für teuflische Bosheit hat deine geheuchelte Herzensgüte sich verkehrt! Aber ich konnte wissen, ich kindischer, rasender Thor, mit Wem ich handeln ging! -- Herr Gott im Himmel! nur diese Strafe ist zu hart -- Elend auf Elend, unerhört und unglaublich, stürzt auf mich ein -- O ihr, deren Blicke halb mit Erbarmen, halb mit entehrendem Argwohn auf mich, auf dieses Weib gerichtet sind, glaubt nicht, daß meine Schuld dem Jammer gleich sey, der mein Gehirn zerrüttet! Das Elend dieser Heimathlosen les't ihr auf ihrer Stirn -- aus dieser Quelle floß mir schon ein über- volles Meer von Kummer und Verwirrung. Keine Verbrecherin darf ich sie nennen -- sie verdiente mein Mitleid, ach, nicht meinen Haß! Doch wer kann billig
fürchte, die Liebe ſelber im Tode noch fort. Ich bin die Erwählte! mein iſt dieſer Mann! Aber er blickt mich nicht an, der Blöde. Laßt uns allein, damit er mich freundlich begrüße!“
Sie tritt auf Theobalden zu, der ihre Hand, wie ſie ihn ſanft anfaſſen will, mit Heftigkeit weg- wirft. „Aus meinen Augen, Verderberin! verhaßtes, freches Geſpenſt! das mir den Fluch nachſchleppt, wohin ich immer trete! Auf ewig verwünſcht, in die Hölle beſchworen ſey der Tag, da du mir zum Erſten- male begegnet! Wie muß ich es büßen, daß mich als argloſen Knaben das heiligſte Gefühl zu dir, zu dei- nem Unglück mitleidig hinzog, in welche ſchändliche Wuth hat deine ſchweſterliche Neigung, in was für teufliſche Bosheit hat deine geheuchelte Herzensgüte ſich verkehrt! Aber ich konnte wiſſen, ich kindiſcher, raſender Thor, mit Wem ich handeln ging! — Herr Gott im Himmel! nur dieſe Strafe iſt zu hart — Elend auf Elend, unerhört und unglaublich, ſtürzt auf mich ein — O ihr, deren Blicke halb mit Erbarmen, halb mit entehrendem Argwohn auf mich, auf dieſes Weib gerichtet ſind, glaubt nicht, daß meine Schuld dem Jammer gleich ſey, der mein Gehirn zerrüttet! Das Elend dieſer Heimathloſen leſ’t ihr auf ihrer Stirn — aus dieſer Quelle floß mir ſchon ein über- volles Meer von Kummer und Verwirrung. Keine Verbrecherin darf ich ſie nennen — ſie verdiente mein Mitleid, ach, nicht meinen Haß! Doch wer kann billig
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fürchte, die Liebe ſelber im Tode noch fort. Ich bin
die Erwählte! mein iſt dieſer Mann! Aber er blickt
mich nicht an, der Blöde. Laßt uns allein, damit er
mich freundlich begrüße!“
Sie tritt auf Theobalden zu, der ihre Hand,
wie ſie ihn ſanft anfaſſen will, mit Heftigkeit weg-
wirft. „Aus meinen Augen, Verderberin! verhaßtes,
freches Geſpenſt! das mir den Fluch nachſchleppt,
wohin ich immer trete! Auf ewig verwünſcht, in die
Hölle beſchworen ſey der Tag, da du mir zum Erſten-
male begegnet! Wie muß ich es büßen, daß mich als
argloſen Knaben das heiligſte Gefühl zu dir, zu dei-
nem Unglück mitleidig hinzog, in welche ſchändliche
Wuth hat deine ſchweſterliche Neigung, in was für
teufliſche Bosheit hat deine geheuchelte Herzensgüte
ſich verkehrt! Aber ich konnte wiſſen, ich kindiſcher,
raſender Thor, mit Wem ich handeln ging! — Herr
Gott im Himmel! nur dieſe Strafe iſt zu hart —
Elend auf Elend, unerhört und unglaublich, ſtürzt auf
mich ein — O ihr, deren Blicke halb mit Erbarmen,
halb mit entehrendem Argwohn auf mich, auf dieſes
Weib gerichtet ſind, glaubt nicht, daß meine Schuld
dem Jammer gleich ſey, der mein Gehirn zerrüttet!
Das Elend dieſer Heimathloſen leſ’t ihr auf ihrer
Stirn — aus dieſer Quelle floß mir ſchon ein über-
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Verbrecherin darf ich ſie nennen — ſie verdiente mein
Mitleid, ach, nicht meinen Haß! Doch wer kann billig
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/262>, abgerufen am 24.11.2024.
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