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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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die Hände der Armen an seine heißen Lippen drückte.
Die Uebrigen standen erschrocken umher, nach und nach
sammelten die Lichter sich leise um den unglücklichen
Platz, ein banges Stillschweigen herrschte, während
Andere eine Trage herbeizuholen eilten, und Margot
die Füße der Erstarrten in ihr Halstuch einhüllte.
"Lassen Sie uns," sagt jezt der Präsident zu Nolten,
welcher noch immer ohne Besinnung an der Erde
kauerte, "lassen Sie uns vernünftig und gefaßt schnelle
Hülfe anwenden, Ihre Braut wird in Kurzem die Au-
gen wieder öffnen!" Also hob man vorsichtig die
Scheinleiche auf das Polster und Alle sezten sich in
Bewegung, als auf Einmal eine fremde Weiberstimme,
welche ganz in der Nähe aus dichtem Gezweige her-
vordrang, einen plötzlichen Stillstand veranlaßte. Un-
willkürlich ballte sich Theobalds Faust, da er die
majestätische Gestalt der Zigeunerin mit keckem Schritt
in die Mitte treten sah; aber die Gegenwart einer
unnahbaren Macht schien alle seine Kraft in Bande
zu schlagen.

Indeß man Agnesen, von den Mädchen ge-
schäftig begleitet, hinwegtrug, sagte Elisabeth mit
ruhigem Ernst: "Wecket das Töchterchen ja nicht mehr
auf! Entlaßt in Frieden ihren Geist, damit er nicht
unwillig, gleich dem verscheuchten Vogel, in der unte-
ren Nacht ankomme, verwundert, daß es so balde ge-
schah. Denn sonst kehrt ächzend ihre Seele zurück,
mich zu quälen und meinen Freund; es eifert, ich

die Hände der Armen an ſeine heißen Lippen drückte.
Die Uebrigen ſtanden erſchrocken umher, nach und nach
ſammelten die Lichter ſich leiſe um den unglücklichen
Platz, ein banges Stillſchweigen herrſchte, während
Andere eine Trage herbeizuholen eilten, und Margot
die Füße der Erſtarrten in ihr Halstuch einhüllte.
„Laſſen Sie uns,“ ſagt jezt der Präſident zu Nolten,
welcher noch immer ohne Beſinnung an der Erde
kauerte, „laſſen Sie uns vernünftig und gefaßt ſchnelle
Hülfe anwenden, Ihre Braut wird in Kurzem die Au-
gen wieder öffnen!“ Alſo hob man vorſichtig die
Scheinleiche auf das Polſter und Alle ſezten ſich in
Bewegung, als auf Einmal eine fremde Weiberſtimme,
welche ganz in der Nähe aus dichtem Gezweige her-
vordrang, einen plötzlichen Stillſtand veranlaßte. Un-
willkürlich ballte ſich Theobalds Fauſt, da er die
majeſtätiſche Geſtalt der Zigeunerin mit keckem Schritt
in die Mitte treten ſah; aber die Gegenwart einer
unnahbaren Macht ſchien alle ſeine Kraft in Bande
zu ſchlagen.

Indeß man Agneſen, von den Mädchen ge-
ſchäftig begleitet, hinwegtrug, ſagte Eliſabeth mit
ruhigem Ernſt: „Wecket das Töchterchen ja nicht mehr
auf! Entlaßt in Frieden ihren Geiſt, damit er nicht
unwillig, gleich dem verſcheuchten Vogel, in der unte-
ren Nacht ankomme, verwundert, daß es ſo balde ge-
ſchah. Denn ſonſt kehrt ächzend ihre Seele zurück,
mich zu quälen und meinen Freund; es eifert, ich

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[575/0261] die Hände der Armen an ſeine heißen Lippen drückte. Die Uebrigen ſtanden erſchrocken umher, nach und nach ſammelten die Lichter ſich leiſe um den unglücklichen Platz, ein banges Stillſchweigen herrſchte, während Andere eine Trage herbeizuholen eilten, und Margot die Füße der Erſtarrten in ihr Halstuch einhüllte. „Laſſen Sie uns,“ ſagt jezt der Präſident zu Nolten, welcher noch immer ohne Beſinnung an der Erde kauerte, „laſſen Sie uns vernünftig und gefaßt ſchnelle Hülfe anwenden, Ihre Braut wird in Kurzem die Au- gen wieder öffnen!“ Alſo hob man vorſichtig die Scheinleiche auf das Polſter und Alle ſezten ſich in Bewegung, als auf Einmal eine fremde Weiberſtimme, welche ganz in der Nähe aus dichtem Gezweige her- vordrang, einen plötzlichen Stillſtand veranlaßte. Un- willkürlich ballte ſich Theobalds Fauſt, da er die majeſtätiſche Geſtalt der Zigeunerin mit keckem Schritt in die Mitte treten ſah; aber die Gegenwart einer unnahbaren Macht ſchien alle ſeine Kraft in Bande zu ſchlagen. Indeß man Agneſen, von den Mädchen ge- ſchäftig begleitet, hinwegtrug, ſagte Eliſabeth mit ruhigem Ernſt: „Wecket das Töchterchen ja nicht mehr auf! Entlaßt in Frieden ihren Geiſt, damit er nicht unwillig, gleich dem verſcheuchten Vogel, in der unte- ren Nacht ankomme, verwundert, daß es ſo balde ge- ſchah. Denn ſonſt kehrt ächzend ihre Seele zurück, mich zu quälen und meinen Freund; es eifert, ich

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/261>, abgerufen am 23.11.2024.