pflichtet, die Vermählung auf eine höchst mysteriöse und völlig geistige Weise vollziehen zu lassen. Indem sie so viele hundert Meilen durch Land und Meer geschieden waren, sollte Jedes in seinem eignen Hause, zu einer und derselben Stunde, hier zwischen Aufgang, dort zwischen Untergang der Sonne, feierlich von zwei besondern Priestern eingesegnet werden. Nachdem also die Braut ganz im Geheimen auf's Festlichste gekleidet und mit Blumen geschmückt, welche man gegen die Morgendämmerung im Garten gebrochen, die halbe Nacht sich mit Gebet auf die wichtige Handlung vor- bereitet hatte, erschien der Geistliche, von dreien Glau- bensbrüdern begleitet. Ein kleiner Saal war sparsam erleuchtet, ein Tisch, worauf zwei Kerzen brannten, zum Altare aufgepuzt. Als nun der Geistliche in sei- ner Liturgie an die Stelle kam, wo im Namen des Abwesenden mit dem Ja geantwortet werden sollte, verlöschte plötzlich eins der Lichter von selbst, zum Er- staunen der Gegenwärtigen und zum größten Schre- cken der Braut, die indessen dadurch getröstet wurde, daß man sie in diesem Zufall ein erfreuliches Zeichen sehen ließ; sie richtete sich beruhigt von ihren Knieen auf und fühlte sich mit dem Geliebten innig und ge- heimnißvoll verbunden. Als man sie sofort allein ge- lassen, bestieg sie, der Vorschrift gemäß, ein hochzeit- lich verziertes, mit süßen Wohlgerüchen besprengtes Lager, worin sie den Vormittag hinter dicht verschloß- nen Fensterladen zubrachte. Mit was für Bildern
pflichtet, die Vermählung auf eine höchſt myſteriöſe und völlig geiſtige Weiſe vollziehen zu laſſen. Indem ſie ſo viele hundert Meilen durch Land und Meer geſchieden waren, ſollte Jedes in ſeinem eignen Hauſe, zu einer und derſelben Stunde, hier zwiſchen Aufgang, dort zwiſchen Untergang der Sonne, feierlich von zwei beſondern Prieſtern eingeſegnet werden. Nachdem alſo die Braut ganz im Geheimen auf’s Feſtlichſte gekleidet und mit Blumen geſchmückt, welche man gegen die Morgendämmerung im Garten gebrochen, die halbe Nacht ſich mit Gebet auf die wichtige Handlung vor- bereitet hatte, erſchien der Geiſtliche, von dreien Glau- bensbrüdern begleitet. Ein kleiner Saal war ſparſam erleuchtet, ein Tiſch, worauf zwei Kerzen brannten, zum Altare aufgepuzt. Als nun der Geiſtliche in ſei- ner Liturgie an die Stelle kam, wo im Namen des Abweſenden mit dem Ja geantwortet werden ſollte, verlöſchte plötzlich eins der Lichter von ſelbſt, zum Er- ſtaunen der Gegenwärtigen und zum größten Schre- cken der Braut, die indeſſen dadurch getröſtet wurde, daß man ſie in dieſem Zufall ein erfreuliches Zeichen ſehen ließ; ſie richtete ſich beruhigt von ihren Knieen auf und fühlte ſich mit dem Geliebten innig und ge- heimnißvoll verbunden. Als man ſie ſofort allein ge- laſſen, beſtieg ſie, der Vorſchrift gemäß, ein hochzeit- lich verziertes, mit ſüßen Wohlgerüchen beſprengtes Lager, worin ſie den Vormittag hinter dicht verſchloß- nen Fenſterladen zubrachte. Mit was für Bildern
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pflichtet, die Vermählung auf eine höchſt myſteriöſe
und völlig geiſtige Weiſe vollziehen zu laſſen. Indem
ſie ſo viele hundert Meilen durch Land und Meer
geſchieden waren, ſollte Jedes in ſeinem eignen Hauſe,
zu einer und derſelben Stunde, hier zwiſchen Aufgang,
dort zwiſchen Untergang der Sonne, feierlich von zwei
beſondern Prieſtern eingeſegnet werden. Nachdem alſo
die Braut ganz im Geheimen auf’s Feſtlichſte gekleidet
und mit Blumen geſchmückt, welche man gegen die
Morgendämmerung im Garten gebrochen, die halbe
Nacht ſich mit Gebet auf die wichtige Handlung vor-
bereitet hatte, erſchien der Geiſtliche, von dreien Glau-
bensbrüdern begleitet. Ein kleiner Saal war ſparſam
erleuchtet, ein Tiſch, worauf zwei Kerzen brannten,
zum Altare aufgepuzt. Als nun der Geiſtliche in ſei-
ner Liturgie an die Stelle kam, wo im Namen des
Abweſenden mit dem Ja geantwortet werden ſollte,
verlöſchte plötzlich eins der Lichter von ſelbſt, zum Er-
ſtaunen der Gegenwärtigen und zum größten Schre-
cken der Braut, die indeſſen dadurch getröſtet wurde,
daß man ſie in dieſem Zufall ein erfreuliches Zeichen
ſehen ließ; ſie richtete ſich beruhigt von ihren Knieen
auf und fühlte ſich mit dem Geliebten innig und ge-
heimnißvoll verbunden. Als man ſie ſofort allein ge-
laſſen, beſtieg ſie, der Vorſchrift gemäß, ein hochzeit-
lich verziertes, mit ſüßen Wohlgerüchen beſprengtes
Lager, worin ſie den Vormittag hinter dicht verſchloß-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/258>, abgerufen am 23.11.2024.
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