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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Religiöse Schwärmerei, eben dasjenige, wodurch sie in
der ersten Ehe so unglücklich gewesen, machte hier
neben einer natürlichen Leidenschaft das wesentliche
Band der Herzen aus. Ich erinnere mich seiner noch
ganz wohl, als eines Mannes von hoher und zugleich
sehr zarter Gestalt, anziehend und geheimnißvoll in
seinen Manieren. Er ging lange Zeit im Haus der
Wittwe aus und ein, sie sollen gemeinschaftlich die
heimlichen Versammlungen einer gewissen Sekte be-
sucht haben, deren Grundsätze man eigentlich nicht
kannte, kurz, er war erklärter Bräutigam; aber Nie-
mand begriff, warum es mit der Hochzeit nicht vor-
angehn wollte, von der sich die Familie eines der
glänzendsten Feste versprach. Indessen ward er ver-
anlaßt, eine sehr weit aussehende Reise in Geschäften
nach Nordamerika zu thun, und nun zweifelte man
gar nicht mehr, daß er die Verbindung in der Stille
werde ausgehn lassen; man bemitleidete die Braut,
die ihn jedoch ganz ruhig und getrost sich einschiffen
sah, und so viel man bemerken konnte, bald einen
lebhaften Briefwechsel mit ihm unterhielt. Ich war
zugegen, als einsmals eine Kiste mit ausgewählten
Geschenken anlangte, welche die Lady mit einem feier-
lichen Wohlgefallen ausbreitete, wobei sie mir ver-
traute: es wäre dieß die Morgengabe ihres Gatten.
Ich verstand sie nicht und sie erklärte sich auch nicht
deutlicher. Späterhin erst ward mir das Räthsel ge-
löst. Das wundersame Paar hatte sich nämlich ver-

Religiöſe Schwärmerei, eben dasjenige, wodurch ſie in
der erſten Ehe ſo unglücklich geweſen, machte hier
neben einer natürlichen Leidenſchaft das weſentliche
Band der Herzen aus. Ich erinnere mich ſeiner noch
ganz wohl, als eines Mannes von hoher und zugleich
ſehr zarter Geſtalt, anziehend und geheimnißvoll in
ſeinen Manieren. Er ging lange Zeit im Haus der
Wittwe aus und ein, ſie ſollen gemeinſchaftlich die
heimlichen Verſammlungen einer gewiſſen Sekte be-
ſucht haben, deren Grundſätze man eigentlich nicht
kannte, kurz, er war erklärter Bräutigam; aber Nie-
mand begriff, warum es mit der Hochzeit nicht vor-
angehn wollte, von der ſich die Familie eines der
glänzendſten Feſte verſprach. Indeſſen ward er ver-
anlaßt, eine ſehr weit ausſehende Reiſe in Geſchäften
nach Nordamerika zu thun, und nun zweifelte man
gar nicht mehr, daß er die Verbindung in der Stille
werde ausgehn laſſen; man bemitleidete die Braut,
die ihn jedoch ganz ruhig und getroſt ſich einſchiffen
ſah, und ſo viel man bemerken konnte, bald einen
lebhaften Briefwechſel mit ihm unterhielt. Ich war
zugegen, als einsmals eine Kiſte mit ausgewählten
Geſchenken anlangte, welche die Lady mit einem feier-
lichen Wohlgefallen ausbreitete, wobei ſie mir ver-
traute: es wäre dieß die Morgengabe ihres Gatten.
Ich verſtand ſie nicht und ſie erklärte ſich auch nicht
deutlicher. Späterhin erſt ward mir das Räthſel ge-
löst. Das wunderſame Paar hatte ſich nämlich ver-

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[571/0257] Religiöſe Schwärmerei, eben dasjenige, wodurch ſie in der erſten Ehe ſo unglücklich geweſen, machte hier neben einer natürlichen Leidenſchaft das weſentliche Band der Herzen aus. Ich erinnere mich ſeiner noch ganz wohl, als eines Mannes von hoher und zugleich ſehr zarter Geſtalt, anziehend und geheimnißvoll in ſeinen Manieren. Er ging lange Zeit im Haus der Wittwe aus und ein, ſie ſollen gemeinſchaftlich die heimlichen Verſammlungen einer gewiſſen Sekte be- ſucht haben, deren Grundſätze man eigentlich nicht kannte, kurz, er war erklärter Bräutigam; aber Nie- mand begriff, warum es mit der Hochzeit nicht vor- angehn wollte, von der ſich die Familie eines der glänzendſten Feſte verſprach. Indeſſen ward er ver- anlaßt, eine ſehr weit ausſehende Reiſe in Geſchäften nach Nordamerika zu thun, und nun zweifelte man gar nicht mehr, daß er die Verbindung in der Stille werde ausgehn laſſen; man bemitleidete die Braut, die ihn jedoch ganz ruhig und getroſt ſich einſchiffen ſah, und ſo viel man bemerken konnte, bald einen lebhaften Briefwechſel mit ihm unterhielt. Ich war zugegen, als einsmals eine Kiſte mit ausgewählten Geſchenken anlangte, welche die Lady mit einem feier- lichen Wohlgefallen ausbreitete, wobei ſie mir ver- traute: es wäre dieß die Morgengabe ihres Gatten. Ich verſtand ſie nicht und ſie erklärte ſich auch nicht deutlicher. Späterhin erſt ward mir das Räthſel ge- löst. Das wunderſame Paar hatte ſich nämlich ver-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/257>, abgerufen am 23.11.2024.