Wesens vertiefen. Es frug sich, weißt du, über das Verhältniß des tief religiösen und namentlich des christlichen Künstlergemüths zum Geist der Antike und der poetischen Empfindungsweise des Alterthums, über die Möglichkeit einer beinahe gleich liebevollen Aus- bildung beider Richtungen in einem und demselben Subjekte. Ich gestand dir eine hohe und seltne Uni- versalität zu, wie denn hierüber auch nur Eine Stimme seyn kann. Ich überzeugte mich, es sey für deine Kunst von Seiten deines christlichen Gefühlslebens, das immerhin doch überwiegend bleibt, nichts zu be- fürchten, selbst wenn zulezt der Argwohn gewisser Ze- loten sich noch rechtfertigen sollte, die einen heimlichen Anhänger der katholischen Kirche und den künftigen Apostaten in dir wittern. Du hast, so dacht' ich, ein für alle Mal die Blume der Alten rein vom schön schlanken Stengel abgepflückt, sie blüht dir unverwelk- lich am Busen und mischt ihren stärkenden Geruch in deine Phantasie, du magst nun malen was du willst; nichts Enges, nichts Verzwicktes wird jemals von dir ausgehn. Siehst du, das war mir längst so klar geworden! und seh' ich nun all' den glücklichen Zusam- menklang deiner Kräfte, und wie willig sich deine Na- tur finden ließ, jeden herben Gegensatz in dir zu schmelzen, denk' ich das unschätzbare einzige Glück, daß dir die Kunst so frühe, fast ohne dein Zuthun, als reife Frucht aus den Händen gütiger Götter zu- fiel, die sich es vorgesezt zu haben scheinen, in dir ein
Weſens vertiefen. Es frug ſich, weißt du, über das Verhältniß des tief religiöſen und namentlich des chriſtlichen Künſtlergemüths zum Geiſt der Antike und der poetiſchen Empfindungsweiſe des Alterthums, über die Möglichkeit einer beinahe gleich liebevollen Aus- bildung beider Richtungen in einem und demſelben Subjekte. Ich geſtand dir eine hohe und ſeltne Uni- verſalität zu, wie denn hierüber auch nur Eine Stimme ſeyn kann. Ich überzeugte mich, es ſey für deine Kunſt von Seiten deines chriſtlichen Gefühlslebens, das immerhin doch überwiegend bleibt, nichts zu be- fürchten, ſelbſt wenn zulezt der Argwohn gewiſſer Ze- loten ſich noch rechtfertigen ſollte, die einen heimlichen Anhänger der katholiſchen Kirche und den künftigen Apoſtaten in dir wittern. Du haſt, ſo dacht’ ich, ein für alle Mal die Blume der Alten rein vom ſchön ſchlanken Stengel abgepflückt, ſie blüht dir unverwelk- lich am Buſen und miſcht ihren ſtärkenden Geruch in deine Phantaſie, du magſt nun malen was du willſt; nichts Enges, nichts Verzwicktes wird jemals von dir ausgehn. Siehſt du, das war mir längſt ſo klar geworden! und ſeh’ ich nun all’ den glücklichen Zuſam- menklang deiner Kräfte, und wie willig ſich deine Na- tur finden ließ, jeden herben Gegenſatz in dir zu ſchmelzen, denk’ ich das unſchätzbare einzige Glück, daß dir die Kunſt ſo frühe, faſt ohne dein Zuthun, als reife Frucht aus den Händen gütiger Götter zu- fiel, die ſich es vorgeſezt zu haben ſcheinen, in dir ein
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Weſens vertiefen. Es frug ſich, weißt du, über das
Verhältniß des tief religiöſen und namentlich des
chriſtlichen Künſtlergemüths zum Geiſt der Antike und
der poetiſchen Empfindungsweiſe des Alterthums, über
die Möglichkeit einer beinahe gleich liebevollen Aus-
bildung beider Richtungen in einem und demſelben
Subjekte. Ich geſtand dir eine hohe und ſeltne Uni-
verſalität zu, wie denn hierüber auch nur Eine Stimme
ſeyn kann. Ich überzeugte mich, es ſey für deine
Kunſt von Seiten deines chriſtlichen Gefühlslebens,
das immerhin doch überwiegend bleibt, nichts zu be-
fürchten, ſelbſt wenn zulezt der Argwohn gewiſſer Ze-
loten ſich noch rechtfertigen ſollte, die einen heimlichen
Anhänger der katholiſchen Kirche und den künftigen
Apoſtaten in dir wittern. Du haſt, ſo dacht’ ich, ein
für alle Mal die Blume der Alten rein vom ſchön
ſchlanken Stengel abgepflückt, ſie blüht dir unverwelk-
lich am Buſen und miſcht ihren ſtärkenden Geruch in
deine Phantaſie, du magſt nun malen was du willſt;
nichts Enges, nichts Verzwicktes wird jemals von
dir ausgehn. Siehſt du, das war mir längſt ſo klar
geworden! und ſeh’ ich nun all’ den glücklichen Zuſam-
menklang deiner Kräfte, und wie willig ſich deine Na-
tur finden ließ, jeden herben Gegenſatz in dir zu
ſchmelzen, denk’ ich das unſchätzbare einzige Glück,
daß dir die Kunſt ſo frühe, faſt ohne dein Zuthun,
als reife Frucht aus den Händen gütiger Götter zu-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/25>, abgerufen am 21.11.2024.
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