abgerissene Gedanken. Sehr viel schien sich auf Theo- bald selbst zu beziehen, Anderes war durchaus un- verständlich, auf frühere Lebensepochen hindeutend. Besonders anziehend aber war ein dünnes Heft mit kleinen Gedichten, fast lauter Sonnette "an L.," sehr sauber geschrieben. Nolten errieth, wem sie galten; denn der Verstorbene hatte ihm selbst von einer frü- hen Liebe zu der Tochter eines Geistlichen gesprochen. Es war Allem nach ein höchst vortreffliches Mädchen, das in der schönsten Jugend gestorben. Wahrschein- lich fiel das Verhältniß in den Anfang von Larkens's Universitätsjahren; wie heilig ihm aber noch in der spätesten Zeit ihr Andenken gewesen, erkannte Theo- bald theils aus der Art, wie Larkens sich darüber äußerte (er sprach ganz selten und auch dann nie ohne Rückhalt von der Sache), theils auch aus an- dern Zeichen, die er erst jezt verstand. So lag z. B. in den zierlich geschriebenen Blättern ein hochrothes Band mit schmaler Goldverbrämung, das der Schau- spieler von Zeit zu Zeit und, wie Nolten sich bestimmt erinnerte, immer nur an Freitagen, unter der Weste zu tragen pflegte; der Maler legte die Gedichte zu- rück, um sie später mit Agnes zu genießen. Jezt aber ward er durch die Aufschrift einiger andern Bo- gen auf's Aeußerste frappirt und eigentlich erschreckt. "Peregrinens Vermählung mit *." Eine Note am Rand sagte deutlich, wer gemeint war; er blätterte und entdeckte im Ganzen eine unschuldige Phantasie
abgeriſſene Gedanken. Sehr viel ſchien ſich auf Theo- bald ſelbſt zu beziehen, Anderes war durchaus un- verſtändlich, auf frühere Lebensepochen hindeutend. Beſonders anziehend aber war ein dünnes Heft mit kleinen Gedichten, faſt lauter Sonnette „an L.,“ ſehr ſauber geſchrieben. Nolten errieth, wem ſie galten; denn der Verſtorbene hatte ihm ſelbſt von einer frü- hen Liebe zu der Tochter eines Geiſtlichen geſprochen. Es war Allem nach ein höchſt vortreffliches Mädchen, das in der ſchönſten Jugend geſtorben. Wahrſchein- lich fiel das Verhältniß in den Anfang von Larkens’s Univerſitätsjahren; wie heilig ihm aber noch in der ſpäteſten Zeit ihr Andenken geweſen, erkannte Theo- bald theils aus der Art, wie Larkens ſich darüber äußerte (er ſprach ganz ſelten und auch dann nie ohne Rückhalt von der Sache), theils auch aus an- dern Zeichen, die er erſt jezt verſtand. So lag z. B. in den zierlich geſchriebenen Blättern ein hochrothes Band mit ſchmaler Goldverbrämung, das der Schau- ſpieler von Zeit zu Zeit und, wie Nolten ſich beſtimmt erinnerte, immer nur an Freitagen, unter der Weſte zu tragen pflegte; der Maler legte die Gedichte zu- rück, um ſie ſpäter mit Agnes zu genießen. Jezt aber ward er durch die Aufſchrift einiger andern Bo- gen auf’s Aeußerſte frappirt und eigentlich erſchreckt. „Peregrinens Vermählung mit *.“ Eine Note am Rand ſagte deutlich, wer gemeint war; er blätterte und entdeckte im Ganzen eine unſchuldige Phantaſie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0241"n="555"/>
abgeriſſene Gedanken. Sehr viel ſchien ſich auf <hirendition="#g">Theo-<lb/>
bald</hi>ſelbſt zu beziehen, Anderes war durchaus un-<lb/>
verſtändlich, auf frühere Lebensepochen hindeutend.<lb/>
Beſonders anziehend aber war ein dünnes Heft mit<lb/>
kleinen Gedichten, faſt lauter Sonnette „an L.,“ſehr<lb/>ſauber geſchrieben. <hirendition="#g">Nolten</hi> errieth, wem ſie galten;<lb/>
denn der Verſtorbene hatte ihm ſelbſt von einer frü-<lb/>
hen Liebe zu der Tochter eines Geiſtlichen geſprochen.<lb/>
Es war Allem nach ein höchſt vortreffliches Mädchen,<lb/>
das in der ſchönſten Jugend geſtorben. Wahrſchein-<lb/>
lich fiel das Verhältniß in den Anfang von <hirendition="#g">Larkens</hi>’s<lb/>
Univerſitätsjahren; wie heilig ihm aber noch in der<lb/>ſpäteſten Zeit ihr Andenken geweſen, erkannte <hirendition="#g">Theo-<lb/>
bald</hi> theils aus der Art, wie <hirendition="#g">Larkens</hi>ſich darüber<lb/>
äußerte (er ſprach ganz ſelten und auch dann nie<lb/>
ohne Rückhalt von der Sache), theils auch aus an-<lb/>
dern Zeichen, die er erſt jezt verſtand. So lag z. B.<lb/>
in den zierlich geſchriebenen Blättern ein hochrothes<lb/>
Band mit ſchmaler Goldverbrämung, das der Schau-<lb/>ſpieler von Zeit zu Zeit und, wie <hirendition="#g">Nolten</hi>ſich beſtimmt<lb/>
erinnerte, immer nur an Freitagen, unter der Weſte<lb/>
zu tragen pflegte; der Maler legte die Gedichte zu-<lb/>
rück, um ſie ſpäter mit <hirendition="#g">Agnes</hi> zu genießen. Jezt<lb/>
aber ward er durch die Aufſchrift einiger andern Bo-<lb/>
gen auf’s Aeußerſte frappirt und eigentlich erſchreckt.<lb/>„Peregrinens Vermählung mit *.“ Eine Note am<lb/>
Rand ſagte deutlich, wer gemeint war; er blätterte<lb/>
und entdeckte im Ganzen eine unſchuldige Phantaſie<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[555/0241]
abgeriſſene Gedanken. Sehr viel ſchien ſich auf Theo-
bald ſelbſt zu beziehen, Anderes war durchaus un-
verſtändlich, auf frühere Lebensepochen hindeutend.
Beſonders anziehend aber war ein dünnes Heft mit
kleinen Gedichten, faſt lauter Sonnette „an L.,“ ſehr
ſauber geſchrieben. Nolten errieth, wem ſie galten;
denn der Verſtorbene hatte ihm ſelbſt von einer frü-
hen Liebe zu der Tochter eines Geiſtlichen geſprochen.
Es war Allem nach ein höchſt vortreffliches Mädchen,
das in der ſchönſten Jugend geſtorben. Wahrſchein-
lich fiel das Verhältniß in den Anfang von Larkens’s
Univerſitätsjahren; wie heilig ihm aber noch in der
ſpäteſten Zeit ihr Andenken geweſen, erkannte Theo-
bald theils aus der Art, wie Larkens ſich darüber
äußerte (er ſprach ganz ſelten und auch dann nie
ohne Rückhalt von der Sache), theils auch aus an-
dern Zeichen, die er erſt jezt verſtand. So lag z. B.
in den zierlich geſchriebenen Blättern ein hochrothes
Band mit ſchmaler Goldverbrämung, das der Schau-
ſpieler von Zeit zu Zeit und, wie Nolten ſich beſtimmt
erinnerte, immer nur an Freitagen, unter der Weſte
zu tragen pflegte; der Maler legte die Gedichte zu-
rück, um ſie ſpäter mit Agnes zu genießen. Jezt
aber ward er durch die Aufſchrift einiger andern Bo-
gen auf’s Aeußerſte frappirt und eigentlich erſchreckt.
„Peregrinens Vermählung mit *.“ Eine Note am
Rand ſagte deutlich, wer gemeint war; er blätterte
und entdeckte im Ganzen eine unſchuldige Phantaſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/241>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.