man darf wohl sagen, Leidenschaftliches. Man sah sie, zumal auf dem Spaziergange, nicht leicht neben Agnes, ohne daß sie einen Arm um sie geschlagen, oder die Finger in die ihrigen hätte gefaltet gehabt. Zuwei- len machte diese Innigkeit, dieß unbegreiflich zuvor- kommende Wesen das anspruchlose Kind recht sehr verlegen, wie sie sich zu benehmen, wie sie es zu er- wiedern habe.
Inzwischen hatte man die Nachbarschaft des Guts ziemlich kennen gelernt, die Stadt ohnehin schon mehr- mals besucht. Unter Anderm rief Theobalden die Publikation des Larkens'schen Testaments dahin. Es fand sich ein bedeutendes Vermögen. Ohne alle Rücksicht auf entferntere Familienglieder (nähere aber lebten überall nicht mehr), hatte der Verstorbene vor- erst einige öffentliche Beneficien, zumal für seinen Ge- burtsort gestiftet; sodann betrafen einzelne Legate nur eine kleine Zahl von Freunden, darunter eine Dame, deren Name und Charakter außer dem Maler Nie- mand erfuhr. Der Leztere selbst und seine Braut waren keineswegs vergessen. Bemerkenswerth ist die ausdrückliche Verfügung des Schauspielers, daß Nie- mand sich beigehen lassen solle, sein Grab -- gleich- gültig übrigens wo es sey -- auf irgend eine Weise ehrend auszuzeichnen.
Am Abende desselben Tags, da diese Dinge in der Stadt bereinigt werden mußten, gab ein Koncert, von welchem alle Freunde der Musik lange vorher
man darf wohl ſagen, Leidenſchaftliches. Man ſah ſie, zumal auf dem Spaziergange, nicht leicht neben Agnes, ohne daß ſie einen Arm um ſie geſchlagen, oder die Finger in die ihrigen hätte gefaltet gehabt. Zuwei- len machte dieſe Innigkeit, dieß unbegreiflich zuvor- kommende Weſen das anſpruchloſe Kind recht ſehr verlegen, wie ſie ſich zu benehmen, wie ſie es zu er- wiedern habe.
Inzwiſchen hatte man die Nachbarſchaft des Guts ziemlich kennen gelernt, die Stadt ohnehin ſchon mehr- mals beſucht. Unter Anderm rief Theobalden die Publikation des Larkens’ſchen Teſtaments dahin. Es fand ſich ein bedeutendes Vermögen. Ohne alle Rückſicht auf entferntere Familienglieder (nähere aber lebten überall nicht mehr), hatte der Verſtorbene vor- erſt einige öffentliche Beneficien, zumal für ſeinen Ge- burtsort geſtiftet; ſodann betrafen einzelne Legate nur eine kleine Zahl von Freunden, darunter eine Dame, deren Name und Charakter außer dem Maler Nie- mand erfuhr. Der Leztere ſelbſt und ſeine Braut waren keineswegs vergeſſen. Bemerkenswerth iſt die ausdrückliche Verfügung des Schauſpielers, daß Nie- mand ſich beigehen laſſen ſolle, ſein Grab — gleich- gültig übrigens wo es ſey — auf irgend eine Weiſe ehrend auszuzeichnen.
Am Abende deſſelben Tags, da dieſe Dinge in der Stadt bereinigt werden mußten, gab ein Koncert, von welchem alle Freunde der Muſik lange vorher
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0236"n="550"/>
man darf wohl ſagen, Leidenſchaftliches. Man ſah<lb/>ſie, zumal auf dem Spaziergange, nicht leicht neben<lb/><hirendition="#g">Agnes</hi>, ohne daß ſie einen Arm um ſie geſchlagen,<lb/>
oder die Finger in die ihrigen hätte gefaltet gehabt. Zuwei-<lb/>
len machte dieſe Innigkeit, dieß unbegreiflich zuvor-<lb/>
kommende Weſen das anſpruchloſe Kind recht ſehr<lb/>
verlegen, wie ſie ſich zu benehmen, wie ſie es zu er-<lb/>
wiedern habe.</p><lb/><p>Inzwiſchen hatte man die Nachbarſchaft des Guts<lb/>
ziemlich kennen gelernt, die Stadt ohnehin ſchon mehr-<lb/>
mals beſucht. Unter Anderm rief <hirendition="#g">Theobalden</hi> die<lb/>
Publikation des <hirendition="#g">Larkens</hi>’ſchen Teſtaments dahin.<lb/>
Es fand ſich ein bedeutendes Vermögen. Ohne alle<lb/>
Rückſicht auf entferntere Familienglieder (nähere aber<lb/>
lebten überall nicht mehr), hatte der Verſtorbene vor-<lb/>
erſt einige öffentliche Beneficien, zumal für ſeinen Ge-<lb/>
burtsort geſtiftet; ſodann betrafen einzelne Legate nur<lb/>
eine kleine Zahl von Freunden, darunter eine Dame,<lb/>
deren Name und Charakter außer dem Maler Nie-<lb/>
mand erfuhr. Der Leztere ſelbſt und ſeine Braut<lb/>
waren keineswegs vergeſſen. Bemerkenswerth iſt die<lb/>
ausdrückliche Verfügung des Schauſpielers, daß Nie-<lb/>
mand ſich beigehen laſſen ſolle, ſein Grab — gleich-<lb/>
gültig übrigens wo es ſey — auf irgend eine Weiſe<lb/>
ehrend auszuzeichnen.</p><lb/><p>Am Abende deſſelben Tags, da dieſe Dinge in<lb/>
der Stadt bereinigt werden mußten, gab ein Koncert,<lb/>
von welchem alle Freunde der Muſik lange vorher<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[550/0236]
man darf wohl ſagen, Leidenſchaftliches. Man ſah
ſie, zumal auf dem Spaziergange, nicht leicht neben
Agnes, ohne daß ſie einen Arm um ſie geſchlagen,
oder die Finger in die ihrigen hätte gefaltet gehabt. Zuwei-
len machte dieſe Innigkeit, dieß unbegreiflich zuvor-
kommende Weſen das anſpruchloſe Kind recht ſehr
verlegen, wie ſie ſich zu benehmen, wie ſie es zu er-
wiedern habe.
Inzwiſchen hatte man die Nachbarſchaft des Guts
ziemlich kennen gelernt, die Stadt ohnehin ſchon mehr-
mals beſucht. Unter Anderm rief Theobalden die
Publikation des Larkens’ſchen Teſtaments dahin.
Es fand ſich ein bedeutendes Vermögen. Ohne alle
Rückſicht auf entferntere Familienglieder (nähere aber
lebten überall nicht mehr), hatte der Verſtorbene vor-
erſt einige öffentliche Beneficien, zumal für ſeinen Ge-
burtsort geſtiftet; ſodann betrafen einzelne Legate nur
eine kleine Zahl von Freunden, darunter eine Dame,
deren Name und Charakter außer dem Maler Nie-
mand erfuhr. Der Leztere ſelbſt und ſeine Braut
waren keineswegs vergeſſen. Bemerkenswerth iſt die
ausdrückliche Verfügung des Schauſpielers, daß Nie-
mand ſich beigehen laſſen ſolle, ſein Grab — gleich-
gültig übrigens wo es ſey — auf irgend eine Weiſe
ehrend auszuzeichnen.
Am Abende deſſelben Tags, da dieſe Dinge in
der Stadt bereinigt werden mußten, gab ein Koncert,
von welchem alle Freunde der Muſik lange vorher
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/236>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.