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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Der Vater hat mich drauf geführt, er ließ die hohle
hölzerne Kugel mit Gyps und feiner Farbe weiß über-
ziehen, ich zeichne die neuesten Charten darauf ab und
mache ohne Schiff und Wagen mit Freuden nach und
nach die Reise durch die ganze Welt. Die Eine Hälfte
wird bald fertig seyn, und hier die neue Welt steigt
auch schon ein wenig aus dem leeren Ocean." Agnes
bewunderte die Schönheit und Genauigkeit der Zeich-
nung, die zierliche Schrift bei den Namen, die breit
lavirte Schattirung des Meers an den Küsten herun-
ter; Nannette aber rief: "Will man den Weibern
einmal nichts Anderes lassen, als das beliebte Nähen,
Stricken, Bandmalen oder Sticken, und was damit
verwandt seyn mag, so sollte man mir gegen eine Arbeit
wie diese, wenn ich es je bis dahin brächte, die Nase
wahrhaftig nicht rümpfen, denn die Strickerin wollt'
ich doch sehen, die schönere Maschen und künstlichere
Filets vorweisen könnte, als Sie, mein Fräulein, hier
bei diesen Linien und Graden gemacht haben!"

Sofort erklärte Margot Dieß und Jenes, und
wenn gleich Nannette immer Diejenige war, welche
die Sachen am begierigsten auffaßte, am schnellsten
begriff, und am besten zu schmeicheln verstand, so blieb
doch Margots Aufmerksamkeit, obwohl nicht unmit-
telbar, denn sie fürchtete durch eine direkte und vor-
zugsweise Belehrung Agnesen zu verletzen, dennoch
am ersten auf diese gerichtet. Ueberhaupt hatte ihre
Neigung zu dem stillen Mädchen etwas Wunderbares,

Der Vater hat mich drauf geführt, er ließ die hohle
hölzerne Kugel mit Gyps und feiner Farbe weiß über-
ziehen, ich zeichne die neueſten Charten darauf ab und
mache ohne Schiff und Wagen mit Freuden nach und
nach die Reiſe durch die ganze Welt. Die Eine Hälfte
wird bald fertig ſeyn, und hier die neue Welt ſteigt
auch ſchon ein wenig aus dem leeren Ocean.“ Agnes
bewunderte die Schönheit und Genauigkeit der Zeich-
nung, die zierliche Schrift bei den Namen, die breit
lavirte Schattirung des Meers an den Küſten herun-
ter; Nannette aber rief: „Will man den Weibern
einmal nichts Anderes laſſen, als das beliebte Nähen,
Stricken, Bandmalen oder Sticken, und was damit
verwandt ſeyn mag, ſo ſollte man mir gegen eine Arbeit
wie dieſe, wenn ich es je bis dahin brächte, die Naſe
wahrhaftig nicht rümpfen, denn die Strickerin wollt’
ich doch ſehen, die ſchönere Maſchen und künſtlichere
Filets vorweiſen könnte, als Sie, mein Fräulein, hier
bei dieſen Linien und Graden gemacht haben!“

Sofort erklärte Margot Dieß und Jenes, und
wenn gleich Nannette immer Diejenige war, welche
die Sachen am begierigſten auffaßte, am ſchnellſten
begriff, und am beſten zu ſchmeicheln verſtand, ſo blieb
doch Margots Aufmerkſamkeit, obwohl nicht unmit-
telbar, denn ſie fürchtete durch eine direkte und vor-
zugsweiſe Belehrung Agneſen zu verletzen, dennoch
am erſten auf dieſe gerichtet. Ueberhaupt hatte ihre
Neigung zu dem ſtillen Mädchen etwas Wunderbares,

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[549/0235] Der Vater hat mich drauf geführt, er ließ die hohle hölzerne Kugel mit Gyps und feiner Farbe weiß über- ziehen, ich zeichne die neueſten Charten darauf ab und mache ohne Schiff und Wagen mit Freuden nach und nach die Reiſe durch die ganze Welt. Die Eine Hälfte wird bald fertig ſeyn, und hier die neue Welt ſteigt auch ſchon ein wenig aus dem leeren Ocean.“ Agnes bewunderte die Schönheit und Genauigkeit der Zeich- nung, die zierliche Schrift bei den Namen, die breit lavirte Schattirung des Meers an den Küſten herun- ter; Nannette aber rief: „Will man den Weibern einmal nichts Anderes laſſen, als das beliebte Nähen, Stricken, Bandmalen oder Sticken, und was damit verwandt ſeyn mag, ſo ſollte man mir gegen eine Arbeit wie dieſe, wenn ich es je bis dahin brächte, die Naſe wahrhaftig nicht rümpfen, denn die Strickerin wollt’ ich doch ſehen, die ſchönere Maſchen und künſtlichere Filets vorweiſen könnte, als Sie, mein Fräulein, hier bei dieſen Linien und Graden gemacht haben!“ Sofort erklärte Margot Dieß und Jenes, und wenn gleich Nannette immer Diejenige war, welche die Sachen am begierigſten auffaßte, am ſchnellſten begriff, und am beſten zu ſchmeicheln verſtand, ſo blieb doch Margots Aufmerkſamkeit, obwohl nicht unmit- telbar, denn ſie fürchtete durch eine direkte und vor- zugsweiſe Belehrung Agneſen zu verletzen, dennoch am erſten auf dieſe gerichtet. Ueberhaupt hatte ihre Neigung zu dem ſtillen Mädchen etwas Wunderbares,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/235>, abgerufen am 22.11.2024.