Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

bäudes, jedoch meist nur von Holz und auf den Schein
berechnet. Altan und Treppe waren dort verwittert
und ohne Gefahr nicht mehr zu betreten.

Die Gesellschaft begab sich in's Innere des Hau-
ses, und bis zum Abendessen trieb ein Jedes was
ihm beliebte. Der Präsident ließ seinen Gästen Zeit,
es sich bequem zu machen. Gleich Anfangs hatte er
den Grundsatz erklärt, es müsse neben den Stunden
der gemeinsamen Unterhaltung und des unmittelbaren
Beieinanderseyns durchaus auch eine Menge Augen-
blicke geben, die, so zu sagen, den zweiten und indi-
rekten, gewiß nicht minder lieblichen Theil der Ge-
selligkeit ausmachen, wo es erfreulich genug sey, sich
mit einander unter Einem Dache zu wissen, sich zu-
fällig zu begegnen und eben so nach Laune festzuhal-
ten. Unseren beiden Frauenzimmern, welche dem
Hausherrn gegenüber doch immer etwas von Schüch-
ternheit bei sich verspürten, kam eine solche Freiheit
zu ganz besonderm Troste, dem Maler war sie ohne-
hin Bedürfniß, und sogleich gab der Präsident das
Beispiel, indem er sich noch auf ein Stündchen in's
Arbeitskabinet zurückzog.

Die Tischzeit versammelte Alle auf's Neue, und
als man sich zulezt gute Nacht sagte, trat Jedem
der Gedanke erstaunend vor die Seele, durch was
für eine ungeheure Fügung sich die fremdesten Men-
schen dergestalt haben zusammen finden können, daß
es schon heute schien, als hätte man sich immerdar

bäudes, jedoch meiſt nur von Holz und auf den Schein
berechnet. Altan und Treppe waren dort verwittert
und ohne Gefahr nicht mehr zu betreten.

Die Geſellſchaft begab ſich in’s Innere des Hau-
ſes, und bis zum Abendeſſen trieb ein Jedes was
ihm beliebte. Der Präſident ließ ſeinen Gäſten Zeit,
es ſich bequem zu machen. Gleich Anfangs hatte er
den Grundſatz erklärt, es müſſe neben den Stunden
der gemeinſamen Unterhaltung und des unmittelbaren
Beieinanderſeyns durchaus auch eine Menge Augen-
blicke geben, die, ſo zu ſagen, den zweiten und indi-
rekten, gewiß nicht minder lieblichen Theil der Ge-
ſelligkeit ausmachen, wo es erfreulich genug ſey, ſich
mit einander unter Einem Dache zu wiſſen, ſich zu-
fällig zu begegnen und eben ſo nach Laune feſtzuhal-
ten. Unſeren beiden Frauenzimmern, welche dem
Hausherrn gegenüber doch immer etwas von Schüch-
ternheit bei ſich verſpürten, kam eine ſolche Freiheit
zu ganz beſonderm Troſte, dem Maler war ſie ohne-
hin Bedürfniß, und ſogleich gab der Präſident das
Beiſpiel, indem er ſich noch auf ein Stündchen in’s
Arbeitskabinet zurückzog.

Die Tiſchzeit verſammelte Alle auf’s Neue, und
als man ſich zulezt gute Nacht ſagte, trat Jedem
der Gedanke erſtaunend vor die Seele, durch was
für eine ungeheure Fügung ſich die fremdeſten Men-
ſchen dergeſtalt haben zuſammen finden können, daß
es ſchon heute ſchien, als hätte man ſich immerdar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0229" n="[543]"/>
bäudes, jedoch mei&#x017F;t nur von Holz und auf den Schein<lb/>
berechnet. Altan und Treppe waren dort verwittert<lb/>
und ohne Gefahr nicht mehr zu betreten.</p><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft begab &#x017F;ich in&#x2019;s Innere des Hau-<lb/>
&#x017F;es, und bis zum Abende&#x017F;&#x017F;en trieb ein Jedes was<lb/>
ihm beliebte. Der Prä&#x017F;ident ließ &#x017F;einen Gä&#x017F;ten Zeit,<lb/>
es &#x017F;ich bequem zu machen. Gleich Anfangs hatte er<lb/>
den Grund&#x017F;atz erklärt, es mü&#x017F;&#x017F;e neben den Stunden<lb/>
der gemein&#x017F;amen Unterhaltung und des unmittelbaren<lb/>
Beieinander&#x017F;eyns durchaus auch eine Menge Augen-<lb/>
blicke geben, die, &#x017F;o zu &#x017F;agen, den zweiten und indi-<lb/>
rekten, gewiß nicht minder lieblichen Theil der Ge-<lb/>
&#x017F;elligkeit ausmachen, wo es erfreulich genug &#x017F;ey, &#x017F;ich<lb/>
mit einander unter Einem Dache zu wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich zu-<lb/>
fällig zu begegnen und eben &#x017F;o nach Laune fe&#x017F;tzuhal-<lb/>
ten. Un&#x017F;eren beiden Frauenzimmern, welche dem<lb/>
Hausherrn gegenüber doch immer etwas von Schüch-<lb/>
ternheit bei &#x017F;ich ver&#x017F;pürten, kam eine &#x017F;olche Freiheit<lb/>
zu ganz be&#x017F;onderm Tro&#x017F;te, dem Maler war &#x017F;ie ohne-<lb/>
hin Bedürfniß, und &#x017F;ogleich gab der Prä&#x017F;ident das<lb/>
Bei&#x017F;piel, indem er &#x017F;ich noch auf ein Stündchen in&#x2019;s<lb/>
Arbeitskabinet zurückzog.</p><lb/>
          <p>Die Ti&#x017F;chzeit ver&#x017F;ammelte Alle auf&#x2019;s Neue, und<lb/>
als man &#x017F;ich zulezt gute Nacht &#x017F;agte, trat Jedem<lb/>
der Gedanke er&#x017F;taunend vor die Seele, durch was<lb/>
für eine ungeheure Fügung &#x017F;ich die fremde&#x017F;ten Men-<lb/>
&#x017F;chen derge&#x017F;talt haben zu&#x017F;ammen finden können, daß<lb/>
es &#x017F;chon heute &#x017F;chien, als hätte man &#x017F;ich immerdar<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[543]/0229] bäudes, jedoch meiſt nur von Holz und auf den Schein berechnet. Altan und Treppe waren dort verwittert und ohne Gefahr nicht mehr zu betreten. Die Geſellſchaft begab ſich in’s Innere des Hau- ſes, und bis zum Abendeſſen trieb ein Jedes was ihm beliebte. Der Präſident ließ ſeinen Gäſten Zeit, es ſich bequem zu machen. Gleich Anfangs hatte er den Grundſatz erklärt, es müſſe neben den Stunden der gemeinſamen Unterhaltung und des unmittelbaren Beieinanderſeyns durchaus auch eine Menge Augen- blicke geben, die, ſo zu ſagen, den zweiten und indi- rekten, gewiß nicht minder lieblichen Theil der Ge- ſelligkeit ausmachen, wo es erfreulich genug ſey, ſich mit einander unter Einem Dache zu wiſſen, ſich zu- fällig zu begegnen und eben ſo nach Laune feſtzuhal- ten. Unſeren beiden Frauenzimmern, welche dem Hausherrn gegenüber doch immer etwas von Schüch- ternheit bei ſich verſpürten, kam eine ſolche Freiheit zu ganz beſonderm Troſte, dem Maler war ſie ohne- hin Bedürfniß, und ſogleich gab der Präſident das Beiſpiel, indem er ſich noch auf ein Stündchen in’s Arbeitskabinet zurückzog. Die Tiſchzeit verſammelte Alle auf’s Neue, und als man ſich zulezt gute Nacht ſagte, trat Jedem der Gedanke erſtaunend vor die Seele, durch was für eine ungeheure Fügung ſich die fremdeſten Men- ſchen dergeſtalt haben zuſammen finden können, daß es ſchon heute ſchien, als hätte man ſich immerdar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/229
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. [543]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/229>, abgerufen am 25.11.2024.