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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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sten Vortheile an, die ihm weder Handbuch noch Er-
fahrung, sondern nur sein glücklicher Blick gezeigt
haben kann. Uebrigens waren unserer Zusammen-
künfte leider nicht mehr als drei; vor sechs Tagen
speis'te er das lezte Mal bei mir."

Der Präsident war fertig. Eine tiefe Wehmuth
war auf alle Gesichter ausgegossen und Keines wollte
reden. Hatte man während dieser Erzählung, wenig-
stens in der Mitte derselben, nur das rege Bild ei-
nes Mannes vor sich gehabt, welcher, obgleich nicht
im reinsten und glücklichsten Sinne, doch durch die
feurige Art, wie er die höchsten Glanz-Erscheinungen
des Lebens und der Kunst in sich aufnehmen konnte,
mit Leib und Seele dieser Welt anzugehören schien,
und konnte man also auf Augenblicke völlig vergessen,
es sey hier von einem Verstorbenen die Rede, so über-
fiel nun der Gedanke, daß man in wenig Stunden
werde seinen Sarg in die Erde senken sehen, alle Ge-
müther mit einer unerträglichen Pein, mit einer ganz
eigenen Angst, und unsern Freund durchdrang ein nie
gefühlter brennender Schmerz der ungeduldigsten Sehn-
sucht. Sekunden lang konnte er sich einbilden, sogleich
werde die Thüre sich aufthun, es werde Jemand her-
einkommen, mit freundlichem Gesicht erklären, es sey
Alles ein Irrthum, Larkens komme frisch, und ge-
sund unverzüglich hieher. Aber ach! kein Wunder
gibt es und keine Allmacht, um Geschehenes ungesche-
hen zu machen.

ſten Vortheile an, die ihm weder Handbuch noch Er-
fahrung, ſondern nur ſein glücklicher Blick gezeigt
haben kann. Uebrigens waren unſerer Zuſammen-
künfte leider nicht mehr als drei; vor ſechs Tagen
ſpeiſ’te er das lezte Mal bei mir.“

Der Präſident war fertig. Eine tiefe Wehmuth
war auf alle Geſichter ausgegoſſen und Keines wollte
reden. Hatte man während dieſer Erzählung, wenig-
ſtens in der Mitte derſelben, nur das rege Bild ei-
nes Mannes vor ſich gehabt, welcher, obgleich nicht
im reinſten und glücklichſten Sinne, doch durch die
feurige Art, wie er die höchſten Glanz-Erſcheinungen
des Lebens und der Kunſt in ſich aufnehmen konnte,
mit Leib und Seele dieſer Welt anzugehören ſchien,
und konnte man alſo auf Augenblicke völlig vergeſſen,
es ſey hier von einem Verſtorbenen die Rede, ſo über-
fiel nun der Gedanke, daß man in wenig Stunden
werde ſeinen Sarg in die Erde ſenken ſehen, alle Ge-
müther mit einer unerträglichen Pein, mit einer ganz
eigenen Angſt, und unſern Freund durchdrang ein nie
gefühlter brennender Schmerz der ungeduldigſten Sehn-
ſucht. Sekunden lang konnte er ſich einbilden, ſogleich
werde die Thüre ſich aufthun, es werde Jemand her-
einkommen, mit freundlichem Geſicht erklären, es ſey
Alles ein Irrthum, Larkens komme friſch, und ge-
ſund unverzüglich hieher. Aber ach! kein Wunder
gibt es und keine Allmacht, um Geſchehenes ungeſche-
hen zu machen.

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[527/0213] ſten Vortheile an, die ihm weder Handbuch noch Er- fahrung, ſondern nur ſein glücklicher Blick gezeigt haben kann. Uebrigens waren unſerer Zuſammen- künfte leider nicht mehr als drei; vor ſechs Tagen ſpeiſ’te er das lezte Mal bei mir.“ Der Präſident war fertig. Eine tiefe Wehmuth war auf alle Geſichter ausgegoſſen und Keines wollte reden. Hatte man während dieſer Erzählung, wenig- ſtens in der Mitte derſelben, nur das rege Bild ei- nes Mannes vor ſich gehabt, welcher, obgleich nicht im reinſten und glücklichſten Sinne, doch durch die feurige Art, wie er die höchſten Glanz-Erſcheinungen des Lebens und der Kunſt in ſich aufnehmen konnte, mit Leib und Seele dieſer Welt anzugehören ſchien, und konnte man alſo auf Augenblicke völlig vergeſſen, es ſey hier von einem Verſtorbenen die Rede, ſo über- fiel nun der Gedanke, daß man in wenig Stunden werde ſeinen Sarg in die Erde ſenken ſehen, alle Ge- müther mit einer unerträglichen Pein, mit einer ganz eigenen Angſt, und unſern Freund durchdrang ein nie gefühlter brennender Schmerz der ungeduldigſten Sehn- ſucht. Sekunden lang konnte er ſich einbilden, ſogleich werde die Thüre ſich aufthun, es werde Jemand her- einkommen, mit freundlichem Geſicht erklären, es ſey Alles ein Irrthum, Larkens komme friſch, und ge- ſund unverzüglich hieher. Aber ach! kein Wunder gibt es und keine Allmacht, um Geſchehenes ungeſche- hen zu machen.

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/213>, abgerufen am 22.11.2024.