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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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likum drängte sich murrend und drohend nach den Thü-
ren, Einige wollten auf der Stelle Rechenschaft haben.
"Sieh da!" rief der Legationsrath mir zu, "ein Bei-
spiel, ein erstes und leztes für ganz Deutschland, ein
Wahrzeichen für alle Direktionen, welche auf Sinn
und guten Geschmack bei uns rechnen!" Plötzlich ant-
wortete eine ganz gelassene Stimme am Gitter mit
den Worten Cäsars: "Pro ostento non ducendum,
si pecudi cor defuit."
Und zugleich streckte sich wie-
der jenes Präceptors-Gesicht herein, aber ohne die
vorige Grimasse und daher fast kaum mehr zu erken-
nen. "Glauben Sie mir, meine Herren (denn ich habe
mich unterdessen erholt und ein wunderbares Licht
ging mir auf), dieses Stück wird vergöttert werden
bei unsern Landsleuten, und die Direktionen können
für solche Abende das Entree getrost auf das Drei-
fache steigern, um den Pöbel zu verschmerzen. Den-
ken Sie an mich. Ihr Diener." Während er das sagte,
glaubte ich mich dunkel zu erinnern, daß mir dieses
Gesicht nicht zum Erstenmal begegne, ich wollte ihn
schnell anreden, aber wie weggeblasen war er unter
dem Gewühl. Ich und mein guter U., nachdem wir
von unserm Erstaunen einigermaßen zurückgekommen
waren, beschlossen, diesen Mann, wenn er sich anders
hier aufhalte, was zu bezweifeln war, auszukundschaf-
ten, es koste was es wolle. Umsonst sahn wir uns auf
den Treppen, an den Ausgängen überall um, fragten
die Personen, denen er zunächst gesessen, Niemand

likum drängte ſich murrend und drohend nach den Thü-
ren, Einige wollten auf der Stelle Rechenſchaft haben.
„Sieh da!“ rief der Legationsrath mir zu, „ein Bei-
ſpiel, ein erſtes und leztes für ganz Deutſchland, ein
Wahrzeichen für alle Direktionen, welche auf Sinn
und guten Geſchmack bei uns rechnen!“ Plötzlich ant-
wortete eine ganz gelaſſene Stimme am Gitter mit
den Worten Cäſars: „Pro ostento non ducendum,
si pecudi cor defuit.“
Und zugleich ſtreckte ſich wie-
der jenes Präceptors-Geſicht herein, aber ohne die
vorige Grimaſſe und daher faſt kaum mehr zu erken-
nen. „Glauben Sie mir, meine Herren (denn ich habe
mich unterdeſſen erholt und ein wunderbares Licht
ging mir auf), dieſes Stück wird vergöttert werden
bei unſern Landsleuten, und die Direktionen können
für ſolche Abende das Entree getroſt auf das Drei-
fache ſteigern, um den Pöbel zu verſchmerzen. Den-
ken Sie an mich. Ihr Diener.“ Während er das ſagte,
glaubte ich mich dunkel zu erinnern, daß mir dieſes
Geſicht nicht zum Erſtenmal begegne, ich wollte ihn
ſchnell anreden, aber wie weggeblaſen war er unter
dem Gewühl. Ich und mein guter U., nachdem wir
von unſerm Erſtaunen einigermaßen zurückgekommen
waren, beſchloſſen, dieſen Mann, wenn er ſich anders
hier aufhalte, was zu bezweifeln war, auszukundſchaf-
ten, es koſte was es wolle. Umſonſt ſahn wir uns auf
den Treppen, an den Ausgängen überall um, fragten
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[523/0209] likum drängte ſich murrend und drohend nach den Thü- ren, Einige wollten auf der Stelle Rechenſchaft haben. „Sieh da!“ rief der Legationsrath mir zu, „ein Bei- ſpiel, ein erſtes und leztes für ganz Deutſchland, ein Wahrzeichen für alle Direktionen, welche auf Sinn und guten Geſchmack bei uns rechnen!“ Plötzlich ant- wortete eine ganz gelaſſene Stimme am Gitter mit den Worten Cäſars: „Pro ostento non ducendum, si pecudi cor defuit.“ Und zugleich ſtreckte ſich wie- der jenes Präceptors-Geſicht herein, aber ohne die vorige Grimaſſe und daher faſt kaum mehr zu erken- nen. „Glauben Sie mir, meine Herren (denn ich habe mich unterdeſſen erholt und ein wunderbares Licht ging mir auf), dieſes Stück wird vergöttert werden bei unſern Landsleuten, und die Direktionen können für ſolche Abende das Entree getroſt auf das Drei- fache ſteigern, um den Pöbel zu verſchmerzen. Den- ken Sie an mich. Ihr Diener.“ Während er das ſagte, glaubte ich mich dunkel zu erinnern, daß mir dieſes Geſicht nicht zum Erſtenmal begegne, ich wollte ihn ſchnell anreden, aber wie weggeblaſen war er unter dem Gewühl. Ich und mein guter U., nachdem wir von unſerm Erſtaunen einigermaßen zurückgekommen waren, beſchloſſen, dieſen Mann, wenn er ſich anders hier aufhalte, was zu bezweifeln war, auszukundſchaf- ten, es koſte was es wolle. Umſonſt ſahn wir uns auf den Treppen, an den Ausgängen überall um, fragten die Perſonen, denen er zunächſt geſeſſen, Niemand

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/209>, abgerufen am 24.11.2024.