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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Gleiches zu thun, so wie den Gasthof zu bezeichnen,
wo Jener ihn morgen aufsuchen wollte. "Denn es ist
billig," sagte er, "daß wir nach einer solchen Begeg-
nung uns näher kennen lernen. Sie sollen alsdann
hören, welcher Zufall mir noch erst vor wenigen Wo-
chen die wunderbare Existenz Ihres Freundes ver-
rieth, den bis auf diesen Tag, so viel ich weiß, noch
keine Seele hier erkannte. Meine Sorge bleibt es
indessen, daß ihm die lezte Ehre, die wir den Todten
geben können, ohne zu großes Aufsehn bei der Menge,
von einer Gesellschaft würdiger Kunstverwandten mor-
gen Abend erwiesen werden könne. Ich habe die
Sache vorläufig eingeleitet. Aber nun noch eine Bitte
um Ihrer selbst willen: verweilen Sie nicht allzu-
lange an diesem traurigen Orte mehr. Es ist das
schönste Vorrecht und der edelste Stolz des Mannes,
daß er das Unabänderliche mit festem Sinn zu tra-
gen weiß. Schlafen Sie wohl. Lieben Sie mich!
Wir sehn uns wieder." Der Maler konnte nicht
sprechen, und drückte stammelnd beide Hände des
Präsidenten.

Als er sich wieder allein sah, flossen seine Thrä-
nen reichlicher, jedoch auch sanfter und zum Ersten-
mal wohlthuend. Er fühlte sich mit dieser Last von
Schmerz nicht mehr so einsam, so entsetzlich fremd in
diesen Wänden, dieser Stadt, ja Larkens's Anblick
selber däuchte ihm so jämmerlich nicht mehr; eben
als wenn der Schatte des Entschlafenen mit ihm die

Gleiches zu thun, ſo wie den Gaſthof zu bezeichnen,
wo Jener ihn morgen aufſuchen wollte. „Denn es iſt
billig,“ ſagte er, „daß wir nach einer ſolchen Begeg-
nung uns näher kennen lernen. Sie ſollen alsdann
hören, welcher Zufall mir noch erſt vor wenigen Wo-
chen die wunderbare Exiſtenz Ihres Freundes ver-
rieth, den bis auf dieſen Tag, ſo viel ich weiß, noch
keine Seele hier erkannte. Meine Sorge bleibt es
indeſſen, daß ihm die lezte Ehre, die wir den Todten
geben können, ohne zu großes Aufſehn bei der Menge,
von einer Geſellſchaft würdiger Kunſtverwandten mor-
gen Abend erwieſen werden könne. Ich habe die
Sache vorläufig eingeleitet. Aber nun noch eine Bitte
um Ihrer ſelbſt willen: verweilen Sie nicht allzu-
lange an dieſem traurigen Orte mehr. Es iſt das
ſchönſte Vorrecht und der edelſte Stolz des Mannes,
daß er das Unabänderliche mit feſtem Sinn zu tra-
gen weiß. Schlafen Sie wohl. Lieben Sie mich!
Wir ſehn uns wieder.“ Der Maler konnte nicht
ſprechen, und drückte ſtammelnd beide Hände des
Präſidenten.

Als er ſich wieder allein ſah, floſſen ſeine Thrä-
nen reichlicher, jedoch auch ſanfter und zum Erſten-
mal wohlthuend. Er fühlte ſich mit dieſer Laſt von
Schmerz nicht mehr ſo einſam, ſo entſetzlich fremd in
dieſen Wänden, dieſer Stadt, ja Larkens’s Anblick
ſelber däuchte ihm ſo jämmerlich nicht mehr; eben
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[512/0198] Gleiches zu thun, ſo wie den Gaſthof zu bezeichnen, wo Jener ihn morgen aufſuchen wollte. „Denn es iſt billig,“ ſagte er, „daß wir nach einer ſolchen Begeg- nung uns näher kennen lernen. Sie ſollen alsdann hören, welcher Zufall mir noch erſt vor wenigen Wo- chen die wunderbare Exiſtenz Ihres Freundes ver- rieth, den bis auf dieſen Tag, ſo viel ich weiß, noch keine Seele hier erkannte. Meine Sorge bleibt es indeſſen, daß ihm die lezte Ehre, die wir den Todten geben können, ohne zu großes Aufſehn bei der Menge, von einer Geſellſchaft würdiger Kunſtverwandten mor- gen Abend erwieſen werden könne. Ich habe die Sache vorläufig eingeleitet. Aber nun noch eine Bitte um Ihrer ſelbſt willen: verweilen Sie nicht allzu- lange an dieſem traurigen Orte mehr. Es iſt das ſchönſte Vorrecht und der edelſte Stolz des Mannes, daß er das Unabänderliche mit feſtem Sinn zu tra- gen weiß. Schlafen Sie wohl. Lieben Sie mich! Wir ſehn uns wieder.“ Der Maler konnte nicht ſprechen, und drückte ſtammelnd beide Hände des Präſidenten. Als er ſich wieder allein ſah, floſſen ſeine Thrä- nen reichlicher, jedoch auch ſanfter und zum Erſten- mal wohlthuend. Er fühlte ſich mit dieſer Laſt von Schmerz nicht mehr ſo einſam, ſo entſetzlich fremd in dieſen Wänden, dieſer Stadt, ja Larkens’s Anblick ſelber däuchte ihm ſo jämmerlich nicht mehr; eben als wenn der Schatte des Entſchlafenen mit ihm die

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/198>, abgerufen am 22.11.2024.