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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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fuhr er fort, "daß an diesem wundersamen Manne ein
tiefer Kummer nagen müsse, dessen Grund er jedoch
sorgfältig verbarg; nur konnte man aus Manchem
eine übertriebene Furcht für seine Gesundheit erken-
nen, so wie er mir auch selbst gestand, daß er eine
so anstrengende Handarbeit, wie das Tischlerwesen,
außer einer gewissen Liebhaberei, die er etwa für dieß
Geschäft haben mochte, hauptsächlich nur zur Stär-
kung seines Körpers unternommen. Auch begriff ich
gar wohl, wie wenig ihn Mangel und Noth zu der-
gleichen bestimmt hatte, denn er war ja gewiß ein
Mann von den schönsten Gaben und Kenntnissen;
desto größer war mein Mitleiden, als ich sah, wie
sauer ihm ein so ungewohntes Leben ankam, wie un-
wohl es ihm in unserer Gesellschaft war und daß er
körperlich zusehends abnahm. Das konnte auch kaum
anders seyn, denn nach dem Zeugniß des Meisters
that er immer weit über seine Kräfte und man mußte
ihn oft mit Gewalt abhalten." Hier deckte er die
Hände des Todten auf, wie sie von grober Arbeit
gehärtet und zerrissen waren. -- Jezt öffnete sich die
Thüre und ein hagerer Mann mit edlem Anstande
trat herein, vor welchem sich der Goldarbeiter ehrer-
bietig zurückzog und dessen stille Verbeugung Nolten
eben so schweigend erwiederte. Er hielt den Fremden
für eine offizielle Person, bis Perse ihm beiseit den
Präsidenten von K * nannte, den keine amtliche Ver-
richtung hieher geführt haben könne. So stand man

fuhr er fort, „daß an dieſem wunderſamen Manne ein
tiefer Kummer nagen müſſe, deſſen Grund er jedoch
ſorgfältig verbarg; nur konnte man aus Manchem
eine übertriebene Furcht für ſeine Geſundheit erken-
nen, ſo wie er mir auch ſelbſt geſtand, daß er eine
ſo anſtrengende Handarbeit, wie das Tiſchlerweſen,
außer einer gewiſſen Liebhaberei, die er etwa für dieß
Geſchäft haben mochte, hauptſächlich nur zur Stär-
kung ſeines Körpers unternommen. Auch begriff ich
gar wohl, wie wenig ihn Mangel und Noth zu der-
gleichen beſtimmt hatte, denn er war ja gewiß ein
Mann von den ſchönſten Gaben und Kenntniſſen;
deſto größer war mein Mitleiden, als ich ſah, wie
ſauer ihm ein ſo ungewohntes Leben ankam, wie un-
wohl es ihm in unſerer Geſellſchaft war und daß er
körperlich zuſehends abnahm. Das konnte auch kaum
anders ſeyn, denn nach dem Zeugniß des Meiſters
that er immer weit über ſeine Kräfte und man mußte
ihn oft mit Gewalt abhalten.“ Hier deckte er die
Hände des Todten auf, wie ſie von grober Arbeit
gehärtet und zerriſſen waren. — Jezt öffnete ſich die
Thüre und ein hagerer Mann mit edlem Anſtande
trat herein, vor welchem ſich der Goldarbeiter ehrer-
bietig zurückzog und deſſen ſtille Verbeugung Nolten
eben ſo ſchweigend erwiederte. Er hielt den Fremden
für eine offizielle Perſon, bis Perſe ihm beiſeit den
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[509/0195] fuhr er fort, „daß an dieſem wunderſamen Manne ein tiefer Kummer nagen müſſe, deſſen Grund er jedoch ſorgfältig verbarg; nur konnte man aus Manchem eine übertriebene Furcht für ſeine Geſundheit erken- nen, ſo wie er mir auch ſelbſt geſtand, daß er eine ſo anſtrengende Handarbeit, wie das Tiſchlerweſen, außer einer gewiſſen Liebhaberei, die er etwa für dieß Geſchäft haben mochte, hauptſächlich nur zur Stär- kung ſeines Körpers unternommen. Auch begriff ich gar wohl, wie wenig ihn Mangel und Noth zu der- gleichen beſtimmt hatte, denn er war ja gewiß ein Mann von den ſchönſten Gaben und Kenntniſſen; deſto größer war mein Mitleiden, als ich ſah, wie ſauer ihm ein ſo ungewohntes Leben ankam, wie un- wohl es ihm in unſerer Geſellſchaft war und daß er körperlich zuſehends abnahm. Das konnte auch kaum anders ſeyn, denn nach dem Zeugniß des Meiſters that er immer weit über ſeine Kräfte und man mußte ihn oft mit Gewalt abhalten.“ Hier deckte er die Hände des Todten auf, wie ſie von grober Arbeit gehärtet und zerriſſen waren. — Jezt öffnete ſich die Thüre und ein hagerer Mann mit edlem Anſtande trat herein, vor welchem ſich der Goldarbeiter ehrer- bietig zurückzog und deſſen ſtille Verbeugung Nolten eben ſo ſchweigend erwiederte. Er hielt den Fremden für eine offizielle Perſon, bis Perſe ihm beiſeit den Präſidenten von K * nannte, den keine amtliche Ver- richtung hieher geführt haben könne. So ſtand man

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/195>, abgerufen am 23.11.2024.