daß nur das Beschämende der Ueberraschung den Schauspieler blindlings zu einem übereilten Entschluß hingerissen habe, denn wirklich hat sich nachher zur Genüge gezeigt, wie wenig ihm seine neuerliche Le- bensweise, so seltsam sie auch gewählt seyn mochte, zu eigentlicher Unehre gereichen konnte. Begreiflich aber wird man es finden, wenn bei der Begegnung des geliebtesten Freundes der Gedanke an eine zerris- sene Vergangenheit mit überwältigender Schwere auf das Gemüth des Unglücklichen hereinstürzte, wenn er sich Ein für alle Mal von demjenigen abwenden wollte, mit dem er in keinem Betracht mehr gleichen Schritt zu halten hoffen durfte, und aus dessen reiner Glücks- nähe ihn der Fluch seines eigenen Schicksals für im- mer zu verbannen schien.
(Einige Jahre nachher hörten wir von Bekann- ten des Malers die Behauptung geltend machen, daß den Schauspieler eine geheime Leidenschaft für die Braut seines Freundes zu dem verzweifelten Ent- schlusse gebracht habe. Wir wären weit entfernt, diese Sage, wozu eine Aeußerung Noltens selbst Veran- lassung gegeben haben soll, schlechthin zu verwerfen, wenn wirklich zu erweisen wäre, daß Larkens, wie allerdings vorgegeben wird, kurz nachdem er seine Lauf- bahn geändert, Agnesen bei einer öffentlichen Gele- genheit, und unerkannt von ihr, zu Neuburg gesehen habe. -- Getraut man sich also nicht, hierin eine sichere Entscheidung zu geben, so müssen wir das
daß nur das Beſchämende der Ueberraſchung den Schauſpieler blindlings zu einem übereilten Entſchluß hingeriſſen habe, denn wirklich hat ſich nachher zur Genüge gezeigt, wie wenig ihm ſeine neuerliche Le- bensweiſe, ſo ſeltſam ſie auch gewählt ſeyn mochte, zu eigentlicher Unehre gereichen konnte. Begreiflich aber wird man es finden, wenn bei der Begegnung des geliebteſten Freundes der Gedanke an eine zerriſ- ſene Vergangenheit mit überwältigender Schwere auf das Gemüth des Unglücklichen hereinſtürzte, wenn er ſich Ein für alle Mal von demjenigen abwenden wollte, mit dem er in keinem Betracht mehr gleichen Schritt zu halten hoffen durfte, und aus deſſen reiner Glücks- nähe ihn der Fluch ſeines eigenen Schickſals für im- mer zu verbannen ſchien.
(Einige Jahre nachher hörten wir von Bekann- ten des Malers die Behauptung geltend machen, daß den Schauſpieler eine geheime Leidenſchaft für die Braut ſeines Freundes zu dem verzweifelten Ent- ſchluſſe gebracht habe. Wir wären weit entfernt, dieſe Sage, wozu eine Aeußerung Noltens ſelbſt Veran- laſſung gegeben haben ſoll, ſchlechthin zu verwerfen, wenn wirklich zu erweiſen wäre, daß Larkens, wie allerdings vorgegeben wird, kurz nachdem er ſeine Lauf- bahn geändert, Agneſen bei einer öffentlichen Gele- genheit, und unerkannt von ihr, zu Neuburg geſehen habe. — Getraut man ſich alſo nicht, hierin eine ſichere Entſcheidung zu geben, ſo müſſen wir das
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[506/0192]
daß nur das Beſchämende der Ueberraſchung den
Schauſpieler blindlings zu einem übereilten Entſchluß
hingeriſſen habe, denn wirklich hat ſich nachher zur
Genüge gezeigt, wie wenig ihm ſeine neuerliche Le-
bensweiſe, ſo ſeltſam ſie auch gewählt ſeyn mochte,
zu eigentlicher Unehre gereichen konnte. Begreiflich
aber wird man es finden, wenn bei der Begegnung
des geliebteſten Freundes der Gedanke an eine zerriſ-
ſene Vergangenheit mit überwältigender Schwere auf
das Gemüth des Unglücklichen hereinſtürzte, wenn er
ſich Ein für alle Mal von demjenigen abwenden wollte,
mit dem er in keinem Betracht mehr gleichen Schritt
zu halten hoffen durfte, und aus deſſen reiner Glücks-
nähe ihn der Fluch ſeines eigenen Schickſals für im-
mer zu verbannen ſchien.
(Einige Jahre nachher hörten wir von Bekann-
ten des Malers die Behauptung geltend machen, daß
den Schauſpieler eine geheime Leidenſchaft für die
Braut ſeines Freundes zu dem verzweifelten Ent-
ſchluſſe gebracht habe. Wir wären weit entfernt, dieſe
Sage, wozu eine Aeußerung Noltens ſelbſt Veran-
laſſung gegeben haben ſoll, ſchlechthin zu verwerfen,
wenn wirklich zu erweiſen wäre, daß Larkens, wie
allerdings vorgegeben wird, kurz nachdem er ſeine Lauf-
bahn geändert, Agneſen bei einer öffentlichen Gele-
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habe. — Getraut man ſich alſo nicht, hierin eine
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/192>, abgerufen am 23.11.2024.
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