dete den Schluß einer Sackgasse, die meist von Kü- fern, Gerbern und dergleichen bewohnt ward. Konrad sizt in dem vordern allgemeinen Trinkzimmer, hart an der offnen Thür einer Nebenstube, der er seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. Dort hat nämlich ein Zirkel von fünf bis sechs regelmäßigen Gästen seinen Tisch, dessen schmale Seite von einem breitschultrigen Manne mit pockennarbigem Gesicht besezt ist, einem aufgeweck- ten und, wie es scheint, etwas verwilderten Burschen. Aus seinen kleinen schwarzen Augen blizte die helle Spottlustigkeit, eine zu allerlei Sprüngen und Possen aufgelegte Einbildungskraft. Er trug seine Scherze übrigens mit trockener Miene vor, und machte die Seele der Gesellschaft aus. Man nannte ihn den Büch- senmacher, auch wohl Stelzfuß, denn er hatte ein höl- zernes Bein. Zwei Mann unter ihm saß ein Mensch von etwa sechs und dreißig Jahren. Es war keine besonders feine Beobachtungsgabe nöthig, um in dieser Gestalt, diesem Kopfe etwas Bedeutenderes und durch- aus Edleres zu entdecken, als man sonst in einem solchen Kreis erwarten würde. Ein schmales, ziemlich verwittertes und tiefgefurchtes Gesicht, das unstete feu- rige Auge, eine leidenschaftliche Hast in den anständi- gen Bewegungen zeugten offenbar von ungewöhnlichen Stürmen, die der Mann im Leben mochte erfahren haben. Er sprach wenig, sah meist zerstreut vor sich nieder, und doch, je nachdem ihm die Laune ankam, konnte er an Einfällen den Stelzfuß sogar überbieten,
dete den Schluß einer Sackgaſſe, die meiſt von Kü- fern, Gerbern und dergleichen bewohnt ward. Konrad ſizt in dem vordern allgemeinen Trinkzimmer, hart an der offnen Thür einer Nebenſtube, der er ſeine ganze Aufmerkſamkeit ſchenkt. Dort hat nämlich ein Zirkel von fünf bis ſechs regelmäßigen Gäſten ſeinen Tiſch, deſſen ſchmale Seite von einem breitſchultrigen Manne mit pockennarbigem Geſicht beſezt iſt, einem aufgeweck- ten und, wie es ſcheint, etwas verwilderten Burſchen. Aus ſeinen kleinen ſchwarzen Augen blizte die helle Spottluſtigkeit, eine zu allerlei Sprüngen und Poſſen aufgelegte Einbildungskraft. Er trug ſeine Scherze übrigens mit trockener Miene vor, und machte die Seele der Geſellſchaft aus. Man nannte ihn den Büch- ſenmacher, auch wohl Stelzfuß, denn er hatte ein höl- zernes Bein. Zwei Mann unter ihm ſaß ein Menſch von etwa ſechs und dreißig Jahren. Es war keine beſonders feine Beobachtungsgabe nöthig, um in dieſer Geſtalt, dieſem Kopfe etwas Bedeutenderes und durch- aus Edleres zu entdecken, als man ſonſt in einem ſolchen Kreis erwarten würde. Ein ſchmales, ziemlich verwittertes und tiefgefurchtes Geſicht, das unſtete feu- rige Auge, eine leidenſchaftliche Haſt in den anſtändi- gen Bewegungen zeugten offenbar von ungewöhnlichen Stürmen, die der Mann im Leben mochte erfahren haben. Er ſprach wenig, ſah meiſt zerſtreut vor ſich nieder, und doch, je nachdem ihm die Laune ankam, konnte er an Einfällen den Stelzfuß ſogar überbieten,
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dete den Schluß einer Sackgaſſe, die meiſt von Kü-
fern, Gerbern und dergleichen bewohnt ward. Konrad
ſizt in dem vordern allgemeinen Trinkzimmer, hart an
der offnen Thür einer Nebenſtube, der er ſeine ganze
Aufmerkſamkeit ſchenkt. Dort hat nämlich ein Zirkel
von fünf bis ſechs regelmäßigen Gäſten ſeinen Tiſch,
deſſen ſchmale Seite von einem breitſchultrigen Manne
mit pockennarbigem Geſicht beſezt iſt, einem aufgeweck-
ten und, wie es ſcheint, etwas verwilderten Burſchen.
Aus ſeinen kleinen ſchwarzen Augen blizte die helle
Spottluſtigkeit, eine zu allerlei Sprüngen und Poſſen
aufgelegte Einbildungskraft. Er trug ſeine Scherze
übrigens mit trockener Miene vor, und machte die
Seele der Geſellſchaft aus. Man nannte ihn den Büch-
ſenmacher, auch wohl Stelzfuß, denn er hatte ein höl-
zernes Bein. Zwei Mann unter ihm ſaß ein Menſch
von etwa ſechs und dreißig Jahren. Es war keine
beſonders feine Beobachtungsgabe nöthig, um in dieſer
Geſtalt, dieſem Kopfe etwas Bedeutenderes und durch-
aus Edleres zu entdecken, als man ſonſt in einem
ſolchen Kreis erwarten würde. Ein ſchmales, ziemlich
verwittertes und tiefgefurchtes Geſicht, das unſtete feu-
rige Auge, eine leidenſchaftliche Haſt in den anſtändi-
gen Bewegungen zeugten offenbar von ungewöhnlichen
Stürmen, die der Mann im Leben mochte erfahren
haben. Er ſprach wenig, ſah meiſt zerſtreut vor ſich
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/169>, abgerufen am 25.11.2024.
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