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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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sonst in seiner frommen Art gewesen wäre, dankbar
und laut eine Wohlthat zu preisen, die ihm der Him-
mel mit der einen Hand als reichlichen Ersatz nicht
minder unerwartet schenkte, als er ihm unerwartet
mit der andern ein theures Gut entrissen hatte.

Was Theobald betrifft, so war ein solcher
Verlust für ihn noch von besonderer Bedeutung. Wenn
uns unvermuthet eine Person wegstirbt, deren innige
und verständige Theilnahme uns von Jugend an be-
gleitete, deren ununterbrochene Neigung uns gleichsam
eine stille Bürgschaft für ein dauerndes Wohlergehn
geworden war, so ist es immer, als stockte plötzlich
unser eignes Leben, als sey im Gangwerk unseres
Schicksals ein Rad gebrochen, das, ob es gleich auf
seinem Platze beinah entbehrlich scheinen konnte, nun
durch den Stillestand des Ganzen erst seine wahre
Bedeutung verriethe. Wenn aber gar der Fall ein-
tritt, daß sich ein solches Auge schließt, indem uns
eben die wichtigste Lebensepoche sich öffnet, und ehe
den Freund die frohe Nachricht noch erreichen konnte,
so will der Muth uns gänzlich fehlen, eine Bahn zu
beschreiten, welche des besten Segens zu ermangeln,
uns fremd und traurig anzublicken scheint.

Wer dieser trüben Stimmung Theobalds am
wenigsten aufhelfen konnte, war Agnes selbst, deren
Benehmen in der That den sonderbarsten Anblick dar-
bot. Sie war seit gestern wie verstummt, sie ließ
die Andern reden, klagen oder trösten, ließ um sich

ſonſt in ſeiner frommen Art geweſen wäre, dankbar
und laut eine Wohlthat zu preiſen, die ihm der Him-
mel mit der einen Hand als reichlichen Erſatz nicht
minder unerwartet ſchenkte, als er ihm unerwartet
mit der andern ein theures Gut entriſſen hatte.

Was Theobald betrifft, ſo war ein ſolcher
Verluſt für ihn noch von beſonderer Bedeutung. Wenn
uns unvermuthet eine Perſon wegſtirbt, deren innige
und verſtändige Theilnahme uns von Jugend an be-
gleitete, deren ununterbrochene Neigung uns gleichſam
eine ſtille Bürgſchaft für ein dauerndes Wohlergehn
geworden war, ſo iſt es immer, als ſtockte plötzlich
unſer eignes Leben, als ſey im Gangwerk unſeres
Schickſals ein Rad gebrochen, das, ob es gleich auf
ſeinem Platze beinah entbehrlich ſcheinen konnte, nun
durch den Stilleſtand des Ganzen erſt ſeine wahre
Bedeutung verriethe. Wenn aber gar der Fall ein-
tritt, daß ſich ein ſolches Auge ſchließt, indem uns
eben die wichtigſte Lebensepoche ſich öffnet, und ehe
den Freund die frohe Nachricht noch erreichen konnte,
ſo will der Muth uns gänzlich fehlen, eine Bahn zu
beſchreiten, welche des beſten Segens zu ermangeln,
uns fremd und traurig anzublicken ſcheint.

Wer dieſer trüben Stimmung Theobalds am
wenigſten aufhelfen konnte, war Agnes ſelbſt, deren
Benehmen in der That den ſonderbarſten Anblick dar-
bot. Sie war ſeit geſtern wie verſtummt, ſie ließ
die Andern reden, klagen oder tröſten, ließ um ſich

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[468/0154] ſonſt in ſeiner frommen Art geweſen wäre, dankbar und laut eine Wohlthat zu preiſen, die ihm der Him- mel mit der einen Hand als reichlichen Erſatz nicht minder unerwartet ſchenkte, als er ihm unerwartet mit der andern ein theures Gut entriſſen hatte. Was Theobald betrifft, ſo war ein ſolcher Verluſt für ihn noch von beſonderer Bedeutung. Wenn uns unvermuthet eine Perſon wegſtirbt, deren innige und verſtändige Theilnahme uns von Jugend an be- gleitete, deren ununterbrochene Neigung uns gleichſam eine ſtille Bürgſchaft für ein dauerndes Wohlergehn geworden war, ſo iſt es immer, als ſtockte plötzlich unſer eignes Leben, als ſey im Gangwerk unſeres Schickſals ein Rad gebrochen, das, ob es gleich auf ſeinem Platze beinah entbehrlich ſcheinen konnte, nun durch den Stilleſtand des Ganzen erſt ſeine wahre Bedeutung verriethe. Wenn aber gar der Fall ein- tritt, daß ſich ein ſolches Auge ſchließt, indem uns eben die wichtigſte Lebensepoche ſich öffnet, und ehe den Freund die frohe Nachricht noch erreichen konnte, ſo will der Muth uns gänzlich fehlen, eine Bahn zu beſchreiten, welche des beſten Segens zu ermangeln, uns fremd und traurig anzublicken ſcheint. Wer dieſer trüben Stimmung Theobalds am wenigſten aufhelfen konnte, war Agnes ſelbſt, deren Benehmen in der That den ſonderbarſten Anblick dar- bot. Sie war ſeit geſtern wie verſtummt, ſie ließ die Andern reden, klagen oder tröſten, ließ um ſich

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/154>, abgerufen am 25.11.2024.