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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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cken, und Nolten selbst überschritt sein gewöhnliches
Ziel. Während dem hat der Himmel sich umzogen,
es wurde völlig Nacht, und Agnes, von seltsamer
Unruhe befallen, ließ mit Bitten und Treiben nicht
nach, bis man endlich zum lezten Wort gekommen
war und die beschwerte Kutsche vom Haus wegrollte.
Raymund ritt vor den Pferden her und kaum hat-
ten sie das Dorf im Rücken, so fing er herzhaft an
zu singen. Er nahm in seinem frohen Uebermuth
dem Bauerburschen, der neben her leuchtete, die beiden
Fackeln ab und schwang sie rechts und links in wei-
ten Kreisen, indem er sich an den wunderlichen Schat-
ten höchlich ergözte, die er durch verschiedene Bewe-
gung der Brände in eine riesenhafte Länge, bald vor
bald rückwärts, schleudern konnte. So oft es anging
kam er an den Schlag und brachte die Gesellschaft
durch allerlei phantastische Vergleichungen über seine
Reiterfigur zum innigen Lachen. Er war wirklich
höchst liebenswürdig in dieser Laune, selbst Agnes
ließ ihm Gerechtigkeit widerfahren. Der Maler wett-
eiferte mit ihm, theils schauerliche, theils liebliche
Mährchen aus dem Stegreife zu erzählen, wobei sich
Theobald ganz unerschöpflich zeigte. Als sie im
Wald an einer öden Strecke Ried vorüberkamen, hieß
es, hier sey vor vielen hundert Jahren das Herz ei-
nes Zauberers nach dessen Tode in die Erde gegra-
ben worden, das dann, zum schwarzen Moos ver-
wachsen, als ein unendliches Gespinnst rings unterm

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cken, und Nolten ſelbſt überſchritt ſein gewöhnliches
Ziel. Während dem hat der Himmel ſich umzogen,
es wurde völlig Nacht, und Agnes, von ſeltſamer
Unruhe befallen, ließ mit Bitten und Treiben nicht
nach, bis man endlich zum lezten Wort gekommen
war und die beſchwerte Kutſche vom Haus wegrollte.
Raymund ritt vor den Pferden her und kaum hat-
ten ſie das Dorf im Rücken, ſo fing er herzhaft an
zu ſingen. Er nahm in ſeinem frohen Uebermuth
dem Bauerburſchen, der neben her leuchtete, die beiden
Fackeln ab und ſchwang ſie rechts und links in wei-
ten Kreiſen, indem er ſich an den wunderlichen Schat-
ten höchlich ergözte, die er durch verſchiedene Bewe-
gung der Brände in eine rieſenhafte Länge, bald vor
bald rückwärts, ſchleudern konnte. So oft es anging
kam er an den Schlag und brachte die Geſellſchaft
durch allerlei phantaſtiſche Vergleichungen über ſeine
Reiterfigur zum innigen Lachen. Er war wirklich
höchſt liebenswürdig in dieſer Laune, ſelbſt Agnes
ließ ihm Gerechtigkeit widerfahren. Der Maler wett-
eiferte mit ihm, theils ſchauerliche, theils liebliche
Mährchen aus dem Stegreife zu erzählen, wobei ſich
Theobald ganz unerſchöpflich zeigte. Als ſie im
Wald an einer öden Strecke Ried vorüberkamen, hieß
es, hier ſey vor vielen hundert Jahren das Herz ei-
nes Zauberers nach deſſen Tode in die Erde gegra-
ben worden, das dann, zum ſchwarzen Moos ver-
wachſen, als ein unendliches Geſpinnſt rings unterm

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[465/0151] cken, und Nolten ſelbſt überſchritt ſein gewöhnliches Ziel. Während dem hat der Himmel ſich umzogen, es wurde völlig Nacht, und Agnes, von ſeltſamer Unruhe befallen, ließ mit Bitten und Treiben nicht nach, bis man endlich zum lezten Wort gekommen war und die beſchwerte Kutſche vom Haus wegrollte. Raymund ritt vor den Pferden her und kaum hat- ten ſie das Dorf im Rücken, ſo fing er herzhaft an zu ſingen. Er nahm in ſeinem frohen Uebermuth dem Bauerburſchen, der neben her leuchtete, die beiden Fackeln ab und ſchwang ſie rechts und links in wei- ten Kreiſen, indem er ſich an den wunderlichen Schat- ten höchlich ergözte, die er durch verſchiedene Bewe- gung der Brände in eine rieſenhafte Länge, bald vor bald rückwärts, ſchleudern konnte. So oft es anging kam er an den Schlag und brachte die Geſellſchaft durch allerlei phantaſtiſche Vergleichungen über ſeine Reiterfigur zum innigen Lachen. Er war wirklich höchſt liebenswürdig in dieſer Laune, ſelbſt Agnes ließ ihm Gerechtigkeit widerfahren. Der Maler wett- eiferte mit ihm, theils ſchauerliche, theils liebliche Mährchen aus dem Stegreife zu erzählen, wobei ſich Theobald ganz unerſchöpflich zeigte. Als ſie im Wald an einer öden Strecke Ried vorüberkamen, hieß es, hier ſey vor vielen hundert Jahren das Herz ei- nes Zauberers nach deſſen Tode in die Erde gegra- ben worden, das dann, zum ſchwarzen Moos ver- wachſen, als ein unendliches Geſpinnſt rings unterm 30

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/151>, abgerufen am 24.11.2024.