"Nichts!" lachte Raymund, aus seinem Traum er- wachend, "es ist nur so verflucht, daß ich die Jette jezt nicht da haben soll! sie nicht am Schopfe fassen kann und recht derb abküssen! Sehn Sie, lieber Oberst, eigentlich ist's nur die Unmöglichkeit, was mich foltert, die plumpe, physische Unmöglichkeit, daß der einfältige Raum, der zwischen zweien Menschen liegt, nicht urplötzlich verschwindet, wenn Einer den Willen recht gründlich hat, daß dieß Gesetz nicht fällt, wenn auch mein Geist mit allem Verlangen sich dagegen stemmt! Ist so was nicht, um sich die Haare aus- zuraufen und mit beiden Füßen wider sich selber zu rennen? Wie dort der Berg, der Mollkopf, glozt und prahlt, recht dreist die Fäuste in die Wampen preßt, daß er so breit sey!" Hier schlug Raymund ein schallendes Gelächter auf, machte einen Satz in die Höhe und sprang wie toll den Abhang hinunter.
"Nun ja, Gott steh' uns bei! so etwas ist noch nicht erhört!" hieß es mit Einem Munde. Aber Nolten nahm sich des Bildhauers mit Wärme an; er schilderte ihn als einen unverbesserlichen Natur- menschen, als einen Mann, der seine Kräfte fühle, und übrigens von aller Tücke, wie von Affektation gleich weit entfernt sey, und wirklich gelang es ihm durch einige auffallende Anekdoten von der Herzens- güte seines Sansfacon die Gesellschaft so weit aus- zusöhnen, daß man zulezt nur noch lächelnd die Köpfe schüttelte. Alle gesellige Lust flammte noch einmal
„Nichts!“ lachte Raymund, aus ſeinem Traum er- wachend, „es iſt nur ſo verflucht, daß ich die Jette jezt nicht da haben ſoll! ſie nicht am Schopfe faſſen kann und recht derb abküſſen! Sehn Sie, lieber Oberſt, eigentlich iſt’s nur die Unmöglichkeit, was mich foltert, die plumpe, phyſiſche Unmöglichkeit, daß der einfältige Raum, der zwiſchen zweien Menſchen liegt, nicht urplötzlich verſchwindet, wenn Einer den Willen recht gründlich hat, daß dieß Geſetz nicht fällt, wenn auch mein Geiſt mit allem Verlangen ſich dagegen ſtemmt! Iſt ſo was nicht, um ſich die Haare aus- zuraufen und mit beiden Füßen wider ſich ſelber zu rennen? Wie dort der Berg, der Mollkopf, glozt und prahlt, recht dreiſt die Fäuſte in die Wampen preßt, daß er ſo breit ſey!“ Hier ſchlug Raymund ein ſchallendes Gelächter auf, machte einen Satz in die Höhe und ſprang wie toll den Abhang hinunter.
„Nun ja, Gott ſteh’ uns bei! ſo etwas iſt noch nicht erhört!“ hieß es mit Einem Munde. Aber Nolten nahm ſich des Bildhauers mit Wärme an; er ſchilderte ihn als einen unverbeſſerlichen Natur- menſchen, als einen Mann, der ſeine Kräfte fühle, und übrigens von aller Tücke, wie von Affektation gleich weit entfernt ſey, und wirklich gelang es ihm durch einige auffallende Anekdoten von der Herzens- güte ſeines Sansfaçon die Geſellſchaft ſo weit aus- zuſöhnen, daß man zulezt nur noch lächelnd die Köpfe ſchüttelte. Alle geſellige Luſt flammte noch einmal
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„Nichts!“ lachte Raymund, aus ſeinem Traum er-
wachend, „es iſt nur ſo verflucht, daß ich die Jette
jezt nicht da haben ſoll! ſie nicht am Schopfe faſſen
kann und recht derb abküſſen! Sehn Sie, lieber
Oberſt, eigentlich iſt’s nur die Unmöglichkeit, was mich
foltert, die plumpe, phyſiſche Unmöglichkeit, daß der
einfältige Raum, der zwiſchen zweien Menſchen liegt,
nicht urplötzlich verſchwindet, wenn Einer den Willen
recht gründlich hat, daß dieß Geſetz nicht fällt, wenn
auch mein Geiſt mit allem Verlangen ſich dagegen
ſtemmt! Iſt ſo was nicht, um ſich die Haare aus-
zuraufen und mit beiden Füßen wider ſich ſelber zu
rennen? Wie dort der Berg, der Mollkopf, glozt
und prahlt, recht dreiſt die Fäuſte in die Wampen
preßt, daß er ſo breit ſey!“ Hier ſchlug Raymund
ein ſchallendes Gelächter auf, machte einen Satz in
die Höhe und ſprang wie toll den Abhang hinunter.
„Nun ja, Gott ſteh’ uns bei! ſo etwas iſt noch
nicht erhört!“ hieß es mit Einem Munde. Aber
Nolten nahm ſich des Bildhauers mit Wärme an;
er ſchilderte ihn als einen unverbeſſerlichen Natur-
menſchen, als einen Mann, der ſeine Kräfte fühle,
und übrigens von aller Tücke, wie von Affektation
gleich weit entfernt ſey, und wirklich gelang es ihm
durch einige auffallende Anekdoten von der Herzens-
güte ſeines Sansfaçon die Geſellſchaft ſo weit aus-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/148>, abgerufen am 24.11.2024.
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