Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.Kaum hat er das Opfer von Nahem betrachtet, so ist Dieß täflein weihe *) Kaum hat er das Opfer von Nahem betrachtet, ſo iſt Dieß täflein weihe *) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0136" n="450"/> Kaum hat er das Opfer von Nahem betrachtet, ſo iſt<lb/> er untröſtlich, dieß muntere Leben, das ſchönſte Bild<lb/> der Freiheit zerſtört zu haben. Nun ſtand an der Ecke<lb/> des Waldes eine Kapelle, dort überließ er ſich den<lb/> wehmüthigſten Gedanken. Zum Erſtenmal fühlt er eine<lb/> große Unzufriedenheit über ſein ungebundenes Leben<lb/> überhaupt, und indeß die Morgenröthe hinter den Ber-<lb/> gen anbrach und nun die Sonne in aller ſtillen Pracht<lb/> aufging, ſchien es, als flüſtere die Mutter Gottes ver-<lb/> nehmliche Worte an ſein Herz. Ein Entſchluß entſtand<lb/> in ihm, und nach wenig Tagen las man auf einer Ta-<lb/> fel, die in der Kapelle aufgehängt war, mit zierlicher<lb/> Schrift folgendes Bekenntniß (ich habe es der Merk-<lb/> würdigkeit Wort für Wort auswendig gelernt):</p><lb/> <p><hi rendition="#c">Dieß täflein weihe *)<lb/><hi rendition="#g">unſerer lieben frauen</hi><lb/> ich<lb/> Marmetin. gennent Jung Volker</hi><lb/> zum daurenden gedächtnuß eines gelübds. und wer da<lb/> ſolches lieſet mög nur erfahren und inne werden was<lb/> wunderbaren maßen Gott der Herr ein menſchlich ge-<lb/> müethe mit gar geringem dinge rühren mag. denn als<lb/> ich hier ohn allen fug und recht im wald die weiße<lb/> hirſchkuh gejaget auch ſelbige ſehr wohl troffen mit<lb/> meiner gueten Büchs da hat der Herr es alſo gefüget<lb/> daß mir ein ſonderlich verbarmen kam mit ſo fein ſanf-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [450/0136]
Kaum hat er das Opfer von Nahem betrachtet, ſo iſt
er untröſtlich, dieß muntere Leben, das ſchönſte Bild
der Freiheit zerſtört zu haben. Nun ſtand an der Ecke
des Waldes eine Kapelle, dort überließ er ſich den
wehmüthigſten Gedanken. Zum Erſtenmal fühlt er eine
große Unzufriedenheit über ſein ungebundenes Leben
überhaupt, und indeß die Morgenröthe hinter den Ber-
gen anbrach und nun die Sonne in aller ſtillen Pracht
aufging, ſchien es, als flüſtere die Mutter Gottes ver-
nehmliche Worte an ſein Herz. Ein Entſchluß entſtand
in ihm, und nach wenig Tagen las man auf einer Ta-
fel, die in der Kapelle aufgehängt war, mit zierlicher
Schrift folgendes Bekenntniß (ich habe es der Merk-
würdigkeit Wort für Wort auswendig gelernt):
Dieß täflein weihe *)
unſerer lieben frauen
ich
Marmetin. gennent Jung Volker
zum daurenden gedächtnuß eines gelübds. und wer da
ſolches lieſet mög nur erfahren und inne werden was
wunderbaren maßen Gott der Herr ein menſchlich ge-
müethe mit gar geringem dinge rühren mag. denn als
ich hier ohn allen fug und recht im wald die weiße
hirſchkuh gejaget auch ſelbige ſehr wohl troffen mit
meiner gueten Büchs da hat der Herr es alſo gefüget
daß mir ein ſonderlich verbarmen kam mit ſo fein ſanf-
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/136>, abgerufen am 23.07.2024. |