lang gedehnte Alb-Traufe ernsthaft und groß her- über; *) sie verschloß beinah die ganze Ostseite, Berg hinter Berg verschiebend und in einander wickelnd, so doch, daß man zuweilen ein ganz entlegnes Thal, wie es stellenweise von der Sonne beschienen war, mit oder ohne Fernrohr erspähen und sich einander freudig zeigen konnte. Besonders lang verweilte Agnes auf den Falten der vorderen Gebirgsseite, worein der schwüle Dunst des Mittags sich so reizend lagerte, die ahnungsvolle Beleuchtung mit vorrücken- dem Abend immer verändernd, bald dunkel, bald stahl- blau, bald licht, bald schwärzlich anzusehn. Es schie- nen Nebelgeister in jenen feuchtwarmen Gründen ir- gend ein goldenes Geheimniß zu hüten. Eine bedeu- tende Ruine krönte die lange Kette des Gebirgs und selbst durch einen schwächern Tubus glaubte man ihre Mauern mit Händen greifen zu können, dagegen ganz hinten in der Ferne vom Rehstock nur der Abfall des Waldrückens sichtbar war, auf dem er ru- hen mußte.
Indeß war von gar muntern Händen ein Feuer zwischen Steinen angemacht worden, der Kaffee fing an zu sieden, die Tassen klirrten, und der Pfarrer ge- bot ein allgemeines Niedersitzen; Niemand aber wollte
*) Die kurze Beschreibung dieser Gegend ist, so viel es möglich war, nach der Natur entworfen. Der Punkt, auf welchen man hier aus- drücklich aufmerksam machen will, befindet sich im Würtembergi- schen, im Oberamt Nürtingen, zunächst bei dem Pfarrdorfe Groß- Bettlingen.
lang gedehnte Alb-Traufe ernſthaft und groß her- über; *) ſie verſchloß beinah die ganze Oſtſeite, Berg hinter Berg verſchiebend und in einander wickelnd, ſo doch, daß man zuweilen ein ganz entlegnes Thal, wie es ſtellenweiſe von der Sonne beſchienen war, mit oder ohne Fernrohr erſpähen und ſich einander freudig zeigen konnte. Beſonders lang verweilte Agnes auf den Falten der vorderen Gebirgsſeite, worein der ſchwüle Dunſt des Mittags ſich ſo reizend lagerte, die ahnungsvolle Beleuchtung mit vorrücken- dem Abend immer verändernd, bald dunkel, bald ſtahl- blau, bald licht, bald ſchwärzlich anzuſehn. Es ſchie- nen Nebelgeiſter in jenen feuchtwarmen Gründen ir- gend ein goldenes Geheimniß zu hüten. Eine bedeu- tende Ruine krönte die lange Kette des Gebirgs und ſelbſt durch einen ſchwächern Tubus glaubte man ihre Mauern mit Händen greifen zu können, dagegen ganz hinten in der Ferne vom Rehſtock nur der Abfall des Waldrückens ſichtbar war, auf dem er ru- hen mußte.
Indeß war von gar muntern Händen ein Feuer zwiſchen Steinen angemacht worden, der Kaffee fing an zu ſieden, die Taſſen klirrten, und der Pfarrer ge- bot ein allgemeines Niederſitzen; Niemand aber wollte
*) Die kurze Beſchreibung dieſer Gegend iſt, ſo viel es möglich war, nach der Natur entworfen. Der Punkt, auf welchen man hier aus- drücklich aufmerkſam machen will, befindet ſich im Würtembergi- ſchen, im Oberamt Nürtingen, zunächſt bei dem Pfarrdorfe Groß- Bettlingen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0130"n="444"/>
lang gedehnte Alb-Traufe ernſthaft und groß her-<lb/>
über; <noteplace="foot"n="*)">Die kurze Beſchreibung dieſer Gegend iſt, ſo viel es möglich war,<lb/>
nach der Natur entworfen. Der Punkt, auf welchen man hier aus-<lb/>
drücklich aufmerkſam machen will, befindet ſich im <hirendition="#g">Würtembergi-<lb/>ſchen</hi>, im Oberamt <hirendition="#g">Nürtingen</hi>, zunächſt bei dem Pfarrdorfe Groß-<lb/>
Bettlingen.</note>ſie verſchloß beinah die ganze Oſtſeite, Berg<lb/>
hinter Berg verſchiebend und in einander wickelnd,<lb/>ſo doch, daß man zuweilen ein ganz entlegnes Thal,<lb/>
wie es ſtellenweiſe von der Sonne beſchienen war,<lb/>
mit oder ohne Fernrohr erſpähen und ſich einander<lb/>
freudig zeigen konnte. Beſonders lang verweilte<lb/><hirendition="#g">Agnes</hi> auf den Falten der vorderen Gebirgsſeite,<lb/>
worein der ſchwüle Dunſt des Mittags ſich ſo reizend<lb/>
lagerte, die ahnungsvolle Beleuchtung mit vorrücken-<lb/>
dem Abend immer verändernd, bald dunkel, bald ſtahl-<lb/>
blau, bald licht, bald ſchwärzlich anzuſehn. Es ſchie-<lb/>
nen Nebelgeiſter in jenen feuchtwarmen Gründen ir-<lb/>
gend ein goldenes Geheimniß zu hüten. Eine bedeu-<lb/>
tende Ruine krönte die lange Kette des Gebirgs und<lb/>ſelbſt durch einen ſchwächern Tubus glaubte man ihre<lb/>
Mauern mit Händen greifen zu können, dagegen<lb/>
ganz hinten in der Ferne vom Rehſtock nur der<lb/>
Abfall des Waldrückens ſichtbar war, auf dem er ru-<lb/>
hen mußte.</p><lb/><p>Indeß war von gar muntern Händen ein Feuer<lb/>
zwiſchen Steinen angemacht worden, der Kaffee fing<lb/>
an zu ſieden, die Taſſen klirrten, und der Pfarrer ge-<lb/>
bot ein allgemeines Niederſitzen; Niemand aber wollte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[444/0130]
lang gedehnte Alb-Traufe ernſthaft und groß her-
über; *) ſie verſchloß beinah die ganze Oſtſeite, Berg
hinter Berg verſchiebend und in einander wickelnd,
ſo doch, daß man zuweilen ein ganz entlegnes Thal,
wie es ſtellenweiſe von der Sonne beſchienen war,
mit oder ohne Fernrohr erſpähen und ſich einander
freudig zeigen konnte. Beſonders lang verweilte
Agnes auf den Falten der vorderen Gebirgsſeite,
worein der ſchwüle Dunſt des Mittags ſich ſo reizend
lagerte, die ahnungsvolle Beleuchtung mit vorrücken-
dem Abend immer verändernd, bald dunkel, bald ſtahl-
blau, bald licht, bald ſchwärzlich anzuſehn. Es ſchie-
nen Nebelgeiſter in jenen feuchtwarmen Gründen ir-
gend ein goldenes Geheimniß zu hüten. Eine bedeu-
tende Ruine krönte die lange Kette des Gebirgs und
ſelbſt durch einen ſchwächern Tubus glaubte man ihre
Mauern mit Händen greifen zu können, dagegen
ganz hinten in der Ferne vom Rehſtock nur der
Abfall des Waldrückens ſichtbar war, auf dem er ru-
hen mußte.
Indeß war von gar muntern Händen ein Feuer
zwiſchen Steinen angemacht worden, der Kaffee fing
an zu ſieden, die Taſſen klirrten, und der Pfarrer ge-
bot ein allgemeines Niederſitzen; Niemand aber wollte
*) Die kurze Beſchreibung dieſer Gegend iſt, ſo viel es möglich war,
nach der Natur entworfen. Der Punkt, auf welchen man hier aus-
drücklich aufmerkſam machen will, befindet ſich im Würtembergi-
ſchen, im Oberamt Nürtingen, zunächſt bei dem Pfarrdorfe Groß-
Bettlingen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/130>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.