hervorzubringen, und ein mitleidflehendes Gesicht zu machen, als würde gleich die Ohnmacht kommen. Man enthält sich kaum dabei recht schmachtend zu fragen: Ist Ihnen nicht ein Schluck Affenthaler gefällig, Fräu- lein, oder dergleichen? Kurz also, wenn jene erste Gattung nichts weiter sagen will als: Gottlob, dieß wäre überstanden! so ist dagegen die zweite" -- Er hatte noch nicht ausgeredt, so kam erst Agnes, bis jezt von Niemand eigentlich vermißt, mit einem Kinde des Pfarrers, das nicht mehr hatte fortquackeln kön- nen und das sie sich auf den Rücken geladen, den steilen Rand von der Seite heraufgeklommen; sie sezte athemlos das Kind auf die Erde und ein "Gott- lob!" entfuhr ihr halblaut. Bei diesem Wort sah man sich um, ein allgemeines Gelächter war unwider- stehlich, aber auch rührender konnte nichts seyn, als die erschrocken fragende Miene des lieben Mädchens. Herzlich umarmte und küßte sie Amandus, indem er rief: "dießmal, wahrhaftig, ist Marthas Mühe schöner als selbst das Eine, das hier oben Noth ist."
Welch ein Genuß nun aber, sich mit durstigem Auge in dieses Glanzmeer der Landschaft hinunter- zustürzen, das Violet der fernsten Berge einzuschlür- fen, dann wieder über die nächsten Ortschaften, Wälder und Felder, Landstraßen und Wasser, im un- erschöpflichen Wechsel von Linien und Farben, hin- zugleiten!
Hier schaute, gar nicht allzuweit entfernt, eine
hervorzubringen, und ein mitleidflehendes Geſicht zu machen, als würde gleich die Ohnmacht kommen. Man enthält ſich kaum dabei recht ſchmachtend zu fragen: Iſt Ihnen nicht ein Schluck Affenthaler gefällig, Fräu- lein, oder dergleichen? Kurz alſo, wenn jene erſte Gattung nichts weiter ſagen will als: Gottlob, dieß wäre überſtanden! ſo iſt dagegen die zweite“ — Er hatte noch nicht ausgeredt, ſo kam erſt Agnes, bis jezt von Niemand eigentlich vermißt, mit einem Kinde des Pfarrers, das nicht mehr hatte fortquackeln kön- nen und das ſie ſich auf den Rücken geladen, den ſteilen Rand von der Seite heraufgeklommen; ſie ſezte athemlos das Kind auf die Erde und ein „Gott- lob!“ entfuhr ihr halblaut. Bei dieſem Wort ſah man ſich um, ein allgemeines Gelächter war unwider- ſtehlich, aber auch rührender konnte nichts ſeyn, als die erſchrocken fragende Miene des lieben Mädchens. Herzlich umarmte und küßte ſie Amandus, indem er rief: „dießmal, wahrhaftig, iſt Marthas Mühe ſchöner als ſelbſt das Eine, das hier oben Noth iſt.“
Welch ein Genuß nun aber, ſich mit durſtigem Auge in dieſes Glanzmeer der Landſchaft hinunter- zuſtürzen, das Violet der fernſten Berge einzuſchlür- fen, dann wieder über die nächſten Ortſchaften, Wälder und Felder, Landſtraßen und Waſſer, im un- erſchöpflichen Wechſel von Linien und Farben, hin- zugleiten!
Hier ſchaute, gar nicht allzuweit entfernt, eine
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hervorzubringen, und ein mitleidflehendes Geſicht zu
machen, als würde gleich die Ohnmacht kommen. Man
enthält ſich kaum dabei recht ſchmachtend zu fragen:
Iſt Ihnen nicht ein Schluck Affenthaler gefällig, Fräu-
lein, oder dergleichen? Kurz alſo, wenn jene
erſte Gattung nichts weiter ſagen will als: Gottlob,
dieß wäre überſtanden! ſo iſt dagegen die zweite“ — Er
hatte noch nicht ausgeredt, ſo kam erſt Agnes, bis
jezt von Niemand eigentlich vermißt, mit einem Kinde
des Pfarrers, das nicht mehr hatte fortquackeln kön-
nen und das ſie ſich auf den Rücken geladen, den
ſteilen Rand von der Seite heraufgeklommen; ſie
ſezte athemlos das Kind auf die Erde und ein „Gott-
lob!“ entfuhr ihr halblaut. Bei dieſem Wort ſah
man ſich um, ein allgemeines Gelächter war unwider-
ſtehlich, aber auch rührender konnte nichts ſeyn, als
die erſchrocken fragende Miene des lieben Mädchens.
Herzlich umarmte und küßte ſie Amandus, indem
er rief: „dießmal, wahrhaftig, iſt Marthas Mühe
ſchöner als ſelbſt das Eine, das hier oben Noth iſt.“
Welch ein Genuß nun aber, ſich mit durſtigem
Auge in dieſes Glanzmeer der Landſchaft hinunter-
zuſtürzen, das Violet der fernſten Berge einzuſchlür-
fen, dann wieder über die nächſten Ortſchaften,
Wälder und Felder, Landſtraßen und Waſſer, im un-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/129>, abgerufen am 24.11.2024.
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