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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Herr Storch hat ihr Besuch gemacht,
Darob ihr süßes Herze lacht,
Ob auch das Bürschlein greine.
-- Frau Echo, sprich,
Noch weiß ich nicht:
Was herzet denn das Liebchen,
Ein Mädchen oder Bübchen?"
""Büb--chen!""

In Kurzem befand man sich auf dem Berg, tief
athemholend und erstaunt über die unbegränzte Aus-
sicht. "Bei Frauenzimmern" fing Amandus an,
"wenn sie den lezten herben Schritt überwunden ha-
ben und jezt sich umsehn, unterscheide ich jedes Mal
zweierlei Gattungen Seufzer. Der eine ist ganz ge-
mein materieller Natur, kein Lüftchen ist im Stand,
ihn von der Rosenlippe aufzunehmen und über die
glänzende Gegend selig hinweg zu tragen, sondern
sogleich fällt er plump, schwer zu Boden, prosaisch
wie das Schnupftuch, womit man sich die Stirn ab-
trocknet. Billig sollten die Schönen sich seiner ganz
enthalten, ihn wenigstens unterdrücken, denn gewisser-
maßen muß er den Wirth beleidigen, den Cicerone
der Gesellschaft, der alle diese Herrlichkeit mit Enthu-
siasmus wie sein Eigenthum vorzeigt und nicht be-
greifen kann, wie man in solchem Augenblicke nur
noch das mindeste Gefühl von der armseligen Mühe
haben kann, womit man sich so einen Anblick erkaufte.
Ja, Damen hab' ich gesehen, die gaben sich Mühe,
diesen Seufzer recht reizend schwindsüchtig und ätherisch

Herr Storch hat ihr Beſuch gemacht,
Darob ihr ſüßes Herze lacht,
Ob auch das Bürſchlein greine.
— Frau Echo, ſprich,
Noch weiß ich nicht:
Was herzet denn das Liebchen,
Ein Mädchen oder Bübchen?“
„„Büb—chen!““

In Kurzem befand man ſich auf dem Berg, tief
athemholend und erſtaunt über die unbegränzte Aus-
ſicht. „Bei Frauenzimmern“ fing Amandus an,
„wenn ſie den lezten herben Schritt überwunden ha-
ben und jezt ſich umſehn, unterſcheide ich jedes Mal
zweierlei Gattungen Seufzer. Der eine iſt ganz ge-
mein materieller Natur, kein Lüftchen iſt im Stand,
ihn von der Roſenlippe aufzunehmen und über die
glänzende Gegend ſelig hinweg zu tragen, ſondern
ſogleich fällt er plump, ſchwer zu Boden, proſaiſch
wie das Schnupftuch, womit man ſich die Stirn ab-
trocknet. Billig ſollten die Schönen ſich ſeiner ganz
enthalten, ihn wenigſtens unterdrücken, denn gewiſſer-
maßen muß er den Wirth beleidigen, den Cicerone
der Geſellſchaft, der alle dieſe Herrlichkeit mit Enthu-
ſiasmus wie ſein Eigenthum vorzeigt und nicht be-
greifen kann, wie man in ſolchem Augenblicke nur
noch das mindeſte Gefühl von der armſeligen Mühe
haben kann, womit man ſich ſo einen Anblick erkaufte.
Ja, Damen hab’ ich geſehen, die gaben ſich Mühe,
dieſen Seufzer recht reizend ſchwindſüchtig und ätheriſch

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[442/0128] Herr Storch hat ihr Beſuch gemacht, Darob ihr ſüßes Herze lacht, Ob auch das Bürſchlein greine. — Frau Echo, ſprich, Noch weiß ich nicht: Was herzet denn das Liebchen, Ein Mädchen oder Bübchen?“ „„Büb—chen!““ In Kurzem befand man ſich auf dem Berg, tief athemholend und erſtaunt über die unbegränzte Aus- ſicht. „Bei Frauenzimmern“ fing Amandus an, „wenn ſie den lezten herben Schritt überwunden ha- ben und jezt ſich umſehn, unterſcheide ich jedes Mal zweierlei Gattungen Seufzer. Der eine iſt ganz ge- mein materieller Natur, kein Lüftchen iſt im Stand, ihn von der Roſenlippe aufzunehmen und über die glänzende Gegend ſelig hinweg zu tragen, ſondern ſogleich fällt er plump, ſchwer zu Boden, proſaiſch wie das Schnupftuch, womit man ſich die Stirn ab- trocknet. Billig ſollten die Schönen ſich ſeiner ganz enthalten, ihn wenigſtens unterdrücken, denn gewiſſer- maßen muß er den Wirth beleidigen, den Cicerone der Geſellſchaft, der alle dieſe Herrlichkeit mit Enthu- ſiasmus wie ſein Eigenthum vorzeigt und nicht be- greifen kann, wie man in ſolchem Augenblicke nur noch das mindeſte Gefühl von der armſeligen Mühe haben kann, womit man ſich ſo einen Anblick erkaufte. Ja, Damen hab’ ich geſehen, die gaben ſich Mühe, dieſen Seufzer recht reizend ſchwindſüchtig und ätheriſch

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/128>, abgerufen am 25.11.2024.