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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Wirklich gingen nicht vier Tage hin, als den
Gefangenen bereits ihre Lossprechung eröffnet ward.
Man hatte bei keinem von Beiden eine bösliche Ab-
sicht, wohl aber eine strafbare Unziemlichkeit in ihrer
Handlungsweise entdeckt, wofür ihnen die Gnade des
Königs Verzeihung zuerkannte.

Sämmtliche Freunde fanden dieß ganz in der
Regel, nur den Schauspieler schien die schnelle Wen-
dung der Sache zu befremden, er schüttelte den Kopf,
indem er nicht undeutlich zu verstehen gab, daß da-
hinter irgend etwas stecken müsse; übrigens äußerte
er weiter keine Vermuthung und theilte von Herzen
den allgemeinen Jubel.

Der Augenblick, in dem er Nolten zum Ersten-
male wieder, obgleich am Krankenbett begrüßte, riß
Jeden, der zugegen war, zu Rührung und Freude hin.
Nie hatte man eine leidenschaftlichere Freundschaft
gesehen, und wenn sonst Larkens die Vermeidung
jedes Anscheins von Empfindsamkeit beinahe bis zur
Härte trieb, so ward er jezt nicht satt, den Kranken
zu umarmen und zu küssen, ihm auf's Beweglichste
den Unfall abzubitten, dessen er sich allein anklagte.
Zum Glück versprach der Arzt, daß Nolten in kur-
zer Zeit völligen Gebrauch von seiner Freiheit würde
machen können, ja der Kranke selber schwur, es fehle
gar nicht viel, so hätte er wohl Lust, sich heute schon
auf die Füße zu richten; zum wenigsten wollte er aus
dem traurigen Arrestzimmer erlöst seyn und müßte

Wirklich gingen nicht vier Tage hin, als den
Gefangenen bereits ihre Losſprechung eröffnet ward.
Man hatte bei keinem von Beiden eine bösliche Ab-
ſicht, wohl aber eine ſtrafbare Unziemlichkeit in ihrer
Handlungsweiſe entdeckt, wofür ihnen die Gnade des
Königs Verzeihung zuerkannte.

Sämmtliche Freunde fanden dieß ganz in der
Regel, nur den Schauſpieler ſchien die ſchnelle Wen-
dung der Sache zu befremden, er ſchüttelte den Kopf,
indem er nicht undeutlich zu verſtehen gab, daß da-
hinter irgend etwas ſtecken müſſe; übrigens äußerte
er weiter keine Vermuthung und theilte von Herzen
den allgemeinen Jubel.

Der Augenblick, in dem er Nolten zum Erſten-
male wieder, obgleich am Krankenbett begrüßte, riß
Jeden, der zugegen war, zu Rührung und Freude hin.
Nie hatte man eine leidenſchaftlichere Freundſchaft
geſehen, und wenn ſonſt Larkens die Vermeidung
jedes Anſcheins von Empfindſamkeit beinahe bis zur
Härte trieb, ſo ward er jezt nicht ſatt, den Kranken
zu umarmen und zu küſſen, ihm auf’s Beweglichſte
den Unfall abzubitten, deſſen er ſich allein anklagte.
Zum Glück verſprach der Arzt, daß Nolten in kur-
zer Zeit völligen Gebrauch von ſeiner Freiheit würde
machen können, ja der Kranke ſelber ſchwur, es fehle
gar nicht viel, ſo hätte er wohl Luſt, ſich heute ſchon
auf die Füße zu richten; zum wenigſten wollte er aus
dem traurigen Arreſtzimmer erlöst ſeyn und müßte

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[325/0011] Wirklich gingen nicht vier Tage hin, als den Gefangenen bereits ihre Losſprechung eröffnet ward. Man hatte bei keinem von Beiden eine bösliche Ab- ſicht, wohl aber eine ſtrafbare Unziemlichkeit in ihrer Handlungsweiſe entdeckt, wofür ihnen die Gnade des Königs Verzeihung zuerkannte. Sämmtliche Freunde fanden dieß ganz in der Regel, nur den Schauſpieler ſchien die ſchnelle Wen- dung der Sache zu befremden, er ſchüttelte den Kopf, indem er nicht undeutlich zu verſtehen gab, daß da- hinter irgend etwas ſtecken müſſe; übrigens äußerte er weiter keine Vermuthung und theilte von Herzen den allgemeinen Jubel. Der Augenblick, in dem er Nolten zum Erſten- male wieder, obgleich am Krankenbett begrüßte, riß Jeden, der zugegen war, zu Rührung und Freude hin. Nie hatte man eine leidenſchaftlichere Freundſchaft geſehen, und wenn ſonſt Larkens die Vermeidung jedes Anſcheins von Empfindſamkeit beinahe bis zur Härte trieb, ſo ward er jezt nicht ſatt, den Kranken zu umarmen und zu küſſen, ihm auf’s Beweglichſte den Unfall abzubitten, deſſen er ſich allein anklagte. Zum Glück verſprach der Arzt, daß Nolten in kur- zer Zeit völligen Gebrauch von ſeiner Freiheit würde machen können, ja der Kranke ſelber ſchwur, es fehle gar nicht viel, ſo hätte er wohl Luſt, ſich heute ſchon auf die Füße zu richten; zum wenigſten wollte er aus dem traurigen Arreſtzimmer erlöst ſeyn und müßte

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/11>, abgerufen am 22.11.2024.