Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

merken Sie die philosophische Klarheit, den feinen
Sarkasmus, womit dieser Schnabel in die Welt hin-
aussticht! Stellen wir uns nun etwa unter der Brun-
nen-Pyramide ein Monument, ein Grabmal vor, so
wäre es dem elegischen Geschmack ohne Zweifel ge-
mäßer, in den hängenden Weidenzweigen sich Philo-
melen, die süße Sängerin der Wehmuth und der Liebe,
zu denken, als den gebildetsten Staaren, dessen bloße
Figur schon viel zu viel vom Weltmann hat. In-
dessen, dünkt mich, wäre ein Hanswurst, gedankenvoll
auf einem Sarkophagen sitzend, eine so üble Vorstel-
lung auch nicht, vielleicht ein Gegenstand für einen
Hogarth. Man gäbe dem Coujon etwa ein schlafen-
des Kind auf den Schoos und hinter seinem Rücken
würde, halb zürnend halb lächelnd, ein eisgrauer Alter
am Stabe das sonderbare Selbstgespräch belauschen.
Des Narren Gesicht müßte zeigen, wie er sich Mühe
gibt, recht tiefsinnig und ernsthaft zu seyn; aber es
geht nicht, und das bedeutendste Kopfschütteln wird
jedes Mal von der Schellenkappe begleitet. Was mei-
nen Sie nun? der geflügelte Schlingel dort, welcher
gestern das Unglück gehabt, ich weiß weder wo noch
wie, in einen Topf mit gelber Oelfarbe zu fallen, da-
von er die Spuren noch trägt -- gleicht er denn nicht
auf's Haar so einem buntschäkigen Allerweltsspötter?
Ist es nicht ein unvergleichlicher Junge?"

Der Bildhauer mußte dem Vogel eine Lobrede
halten, war aber endlich nur froh, loszukommen und sich
bei den Freunden seiner glücklichen Zeitung zu entledigen.

merken Sie die philoſophiſche Klarheit, den feinen
Sarkasmus, womit dieſer Schnabel in die Welt hin-
ausſticht! Stellen wir uns nun etwa unter der Brun-
nen-Pyramide ein Monument, ein Grabmal vor, ſo
wäre es dem elegiſchen Geſchmack ohne Zweifel ge-
mäßer, in den hängenden Weidenzweigen ſich Philo-
melen, die ſüße Sängerin der Wehmuth und der Liebe,
zu denken, als den gebildetſten Staaren, deſſen bloße
Figur ſchon viel zu viel vom Weltmann hat. In-
deſſen, dünkt mich, wäre ein Hanswurſt, gedankenvoll
auf einem Sarkophagen ſitzend, eine ſo üble Vorſtel-
lung auch nicht, vielleicht ein Gegenſtand für einen
Hogarth. Man gäbe dem Coujon etwa ein ſchlafen-
des Kind auf den Schoos und hinter ſeinem Rücken
würde, halb zürnend halb lächelnd, ein eisgrauer Alter
am Stabe das ſonderbare Selbſtgeſpräch belauſchen.
Des Narren Geſicht müßte zeigen, wie er ſich Mühe
gibt, recht tiefſinnig und ernſthaft zu ſeyn; aber es
geht nicht, und das bedeutendſte Kopfſchütteln wird
jedes Mal von der Schellenkappe begleitet. Was mei-
nen Sie nun? der geflügelte Schlingel dort, welcher
geſtern das Unglück gehabt, ich weiß weder wo noch
wie, in einen Topf mit gelber Oelfarbe zu fallen, da-
von er die Spuren noch trägt — gleicht er denn nicht
auf’s Haar ſo einem buntſchäkigen Allerweltsſpötter?
Iſt es nicht ein unvergleichlicher Junge?“

Der Bildhauer mußte dem Vogel eine Lobrede
halten, war aber endlich nur froh, loszukommen und ſich
bei den Freunden ſeiner glücklichen Zeitung zu entledigen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0010" n="324"/>
merken Sie die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Klarheit, den feinen<lb/>
Sarkasmus, womit die&#x017F;er Schnabel in die Welt hin-<lb/>
aus&#x017F;ticht! Stellen wir uns nun etwa unter der Brun-<lb/>
nen-Pyramide ein Monument, ein Grabmal vor, &#x017F;o<lb/>
wäre es dem elegi&#x017F;chen Ge&#x017F;chmack ohne Zweifel ge-<lb/>
mäßer, in den hängenden Weidenzweigen &#x017F;ich Philo-<lb/>
melen, die &#x017F;üße Sängerin der Wehmuth und der Liebe,<lb/>
zu denken, als den gebildet&#x017F;ten Staaren, de&#x017F;&#x017F;en bloße<lb/>
Figur &#x017F;chon viel zu viel vom Weltmann hat. In-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en, dünkt mich, wäre ein Hanswur&#x017F;t, gedankenvoll<lb/>
auf einem Sarkophagen &#x017F;itzend, eine &#x017F;o üble Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung auch nicht, vielleicht ein Gegen&#x017F;tand für einen<lb/>
Hogarth. Man gäbe dem Coujon etwa ein &#x017F;chlafen-<lb/>
des Kind auf den Schoos und hinter &#x017F;einem Rücken<lb/>
würde, halb zürnend halb lächelnd, ein eisgrauer Alter<lb/>
am Stabe das &#x017F;onderbare Selb&#x017F;tge&#x017F;präch belau&#x017F;chen.<lb/>
Des Narren Ge&#x017F;icht müßte zeigen, wie er &#x017F;ich Mühe<lb/>
gibt, recht tief&#x017F;innig und ern&#x017F;thaft zu &#x017F;eyn; aber es<lb/>
geht nicht, und das bedeutend&#x017F;te Kopf&#x017F;chütteln wird<lb/>
jedes Mal von der Schellenkappe begleitet. Was mei-<lb/>
nen Sie nun? der geflügelte Schlingel dort, welcher<lb/>
ge&#x017F;tern das Unglück gehabt, ich weiß weder wo noch<lb/>
wie, in einen Topf mit gelber Oelfarbe zu fallen, da-<lb/>
von er die Spuren noch trägt &#x2014; gleicht er denn nicht<lb/>
auf&#x2019;s Haar &#x017F;o einem bunt&#x017F;chäkigen Allerwelts&#x017F;pötter?<lb/>
I&#x017F;t es nicht ein unvergleichlicher Junge?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Bildhauer mußte dem Vogel eine Lobrede<lb/>
halten, war aber endlich nur froh, loszukommen und &#x017F;ich<lb/>
bei den Freunden &#x017F;einer glücklichen Zeitung zu entledigen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[324/0010] merken Sie die philoſophiſche Klarheit, den feinen Sarkasmus, womit dieſer Schnabel in die Welt hin- ausſticht! Stellen wir uns nun etwa unter der Brun- nen-Pyramide ein Monument, ein Grabmal vor, ſo wäre es dem elegiſchen Geſchmack ohne Zweifel ge- mäßer, in den hängenden Weidenzweigen ſich Philo- melen, die ſüße Sängerin der Wehmuth und der Liebe, zu denken, als den gebildetſten Staaren, deſſen bloße Figur ſchon viel zu viel vom Weltmann hat. In- deſſen, dünkt mich, wäre ein Hanswurſt, gedankenvoll auf einem Sarkophagen ſitzend, eine ſo üble Vorſtel- lung auch nicht, vielleicht ein Gegenſtand für einen Hogarth. Man gäbe dem Coujon etwa ein ſchlafen- des Kind auf den Schoos und hinter ſeinem Rücken würde, halb zürnend halb lächelnd, ein eisgrauer Alter am Stabe das ſonderbare Selbſtgeſpräch belauſchen. Des Narren Geſicht müßte zeigen, wie er ſich Mühe gibt, recht tiefſinnig und ernſthaft zu ſeyn; aber es geht nicht, und das bedeutendſte Kopfſchütteln wird jedes Mal von der Schellenkappe begleitet. Was mei- nen Sie nun? der geflügelte Schlingel dort, welcher geſtern das Unglück gehabt, ich weiß weder wo noch wie, in einen Topf mit gelber Oelfarbe zu fallen, da- von er die Spuren noch trägt — gleicht er denn nicht auf’s Haar ſo einem buntſchäkigen Allerweltsſpötter? Iſt es nicht ein unvergleichlicher Junge?“ Der Bildhauer mußte dem Vogel eine Lobrede halten, war aber endlich nur froh, loszukommen und ſich bei den Freunden ſeiner glücklichen Zeitung zu entledigen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/10
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/10>, abgerufen am 25.11.2024.