Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

daß Nolten seit einem vollen Monat und darüber
nichts von sich hören ließ. Der Alte fand es uner-
klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die
fatale Geschichte entstanden seyn möchte, war kaum
gedenkbar, da weiter Niemand darum wissen konnte;
möglicher schien es, daß Nolten krank, daß Briefe
verloren gegangen seyen. Agnes hatte dabei ihre
besonderen Gedanken und schwieg nur immer, indem
sie auf etwas Entscheidendes zu spannen schien.

Wirklich hatte sich inzwischen nicht wenig Be-
deutendes in der Ferne zugetragen.

Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt-
schaft des Försterhauses gemacht, von zwei verschie-
denen Seiten und von sehr wohlmeinenden Personen
Briefe an Nolten gelangt, worin er auf ein sehr
zweideutiges Benehmen des Alten und seiner Tochter
in Betreff des jungen Menschen aufmerksam gemacht
wurde. Eine dieser Warnungen kam sogar von dem
guten Baron auf dem Schlosse bei Neuburg, welcher
sonst mit dem Förster in freundlichem Vernehmen
stand, und von dessen Rechtlichkeit und vorsichtigem
Urtheil sich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er-
warten ließ. Schon diese ersten Laute des Verdachts,
obgleich sie unsern Maler noch keineswegs zu über-
zeugen vermochten, erschütterten und lähmten, ja ver-
nichteten ihn doch dergestalt, daß er sich lange nicht
entschließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg
zu richten, seinen väterlichen Freund, den Baron, aus-

daß Nolten ſeit einem vollen Monat und darüber
nichts von ſich hören ließ. Der Alte fand es uner-
klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die
fatale Geſchichte entſtanden ſeyn möchte, war kaum
gedenkbar, da weiter Niemand darum wiſſen konnte;
möglicher ſchien es, daß Nolten krank, daß Briefe
verloren gegangen ſeyen. Agnes hatte dabei ihre
beſonderen Gedanken und ſchwieg nur immer, indem
ſie auf etwas Entſcheidendes zu ſpannen ſchien.

Wirklich hatte ſich inzwiſchen nicht wenig Be-
deutendes in der Ferne zugetragen.

Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt-
ſchaft des Förſterhauſes gemacht, von zwei verſchie-
denen Seiten und von ſehr wohlmeinenden Perſonen
Briefe an Nolten gelangt, worin er auf ein ſehr
zweideutiges Benehmen des Alten und ſeiner Tochter
in Betreff des jungen Menſchen aufmerkſam gemacht
wurde. Eine dieſer Warnungen kam ſogar von dem
guten Baron auf dem Schloſſe bei Neuburg, welcher
ſonſt mit dem Förſter in freundlichem Vernehmen
ſtand, und von deſſen Rechtlichkeit und vorſichtigem
Urtheil ſich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er-
warten ließ. Schon dieſe erſten Laute des Verdachts,
obgleich ſie unſern Maler noch keineswegs zu über-
zeugen vermochten, erſchütterten und lähmten, ja ver-
nichteten ihn doch dergeſtalt, daß er ſich lange nicht
entſchließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg
zu richten, ſeinen väterlichen Freund, den Baron, aus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0096" n="88"/>
daß <hi rendition="#g">Nolten</hi> &#x017F;eit einem vollen Monat und darüber<lb/>
nichts von &#x017F;ich hören ließ. Der Alte fand es uner-<lb/>
klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die<lb/>
fatale Ge&#x017F;chichte ent&#x017F;tanden &#x017F;eyn möchte, war kaum<lb/>
gedenkbar, da weiter Niemand darum wi&#x017F;&#x017F;en konnte;<lb/>
möglicher &#x017F;chien es, daß <hi rendition="#g">Nolten</hi> krank, daß Briefe<lb/>
verloren gegangen &#x017F;eyen. <hi rendition="#g">Agnes</hi> hatte dabei ihre<lb/>
be&#x017F;onderen Gedanken und &#x017F;chwieg nur immer, indem<lb/>
&#x017F;ie auf etwas Ent&#x017F;cheidendes zu &#x017F;pannen &#x017F;chien.</p><lb/>
          <p>Wirklich hatte &#x017F;ich inzwi&#x017F;chen nicht wenig Be-<lb/>
deutendes in der Ferne zugetragen.</p><lb/>
          <p>Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt-<lb/>
&#x017F;chaft des För&#x017F;terhau&#x017F;es gemacht, von zwei ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Seiten und von &#x017F;ehr wohlmeinenden Per&#x017F;onen<lb/>
Briefe an <hi rendition="#g">Nolten</hi> gelangt, worin er auf ein &#x017F;ehr<lb/>
zweideutiges Benehmen des Alten und &#x017F;einer Tochter<lb/>
in Betreff des jungen Men&#x017F;chen aufmerk&#x017F;am gemacht<lb/>
wurde. Eine die&#x017F;er Warnungen kam &#x017F;ogar von dem<lb/>
guten Baron auf dem Schlo&#x017F;&#x017F;e bei Neuburg, welcher<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t mit dem För&#x017F;ter in freundlichem Vernehmen<lb/>
&#x017F;tand, und von de&#x017F;&#x017F;en Rechtlichkeit und vor&#x017F;ichtigem<lb/>
Urtheil &#x017F;ich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er-<lb/>
warten ließ. Schon die&#x017F;e er&#x017F;ten Laute des Verdachts,<lb/>
obgleich &#x017F;ie un&#x017F;ern Maler noch keineswegs zu über-<lb/>
zeugen vermochten, er&#x017F;chütterten und lähmten, ja ver-<lb/>
nichteten ihn doch derge&#x017F;talt, daß er &#x017F;ich lange nicht<lb/>
ent&#x017F;chließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg<lb/>
zu richten, &#x017F;einen väterlichen Freund, den Baron, aus-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0096] daß Nolten ſeit einem vollen Monat und darüber nichts von ſich hören ließ. Der Alte fand es uner- klärlich, denn eine Irrung, welche etwa durch die fatale Geſchichte entſtanden ſeyn möchte, war kaum gedenkbar, da weiter Niemand darum wiſſen konnte; möglicher ſchien es, daß Nolten krank, daß Briefe verloren gegangen ſeyen. Agnes hatte dabei ihre beſonderen Gedanken und ſchwieg nur immer, indem ſie auf etwas Entſcheidendes zu ſpannen ſchien. Wirklich hatte ſich inzwiſchen nicht wenig Be- deutendes in der Ferne zugetragen. Es waren, bald nachdem der Vetter die Bekannt- ſchaft des Förſterhauſes gemacht, von zwei verſchie- denen Seiten und von ſehr wohlmeinenden Perſonen Briefe an Nolten gelangt, worin er auf ein ſehr zweideutiges Benehmen des Alten und ſeiner Tochter in Betreff des jungen Menſchen aufmerkſam gemacht wurde. Eine dieſer Warnungen kam ſogar von dem guten Baron auf dem Schloſſe bei Neuburg, welcher ſonſt mit dem Förſter in freundlichem Vernehmen ſtand, und von deſſen Rechtlichkeit und vorſichtigem Urtheil ſich weder Uebereilung noch Parteilichkeit er- warten ließ. Schon dieſe erſten Laute des Verdachts, obgleich ſie unſern Maler noch keineswegs zu über- zeugen vermochten, erſchütterten und lähmten, ja ver- nichteten ihn doch dergeſtalt, daß er ſich lange nicht entſchließen konnte, auch nur eine Zeile nach Neuburg zu richten, ſeinen väterlichen Freund, den Baron, aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/96
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/96>, abgerufen am 28.11.2024.