das kürzeste Mittel zu Ausgleichung des Ganzen wäre, allein die geringste Erwähnung des Planes bei Agne- sen versezte diese in den größten Jammer, sie beschwor den Vater auf den Knien, von dem Vorhaben abzu- stehen, das ihr gewiß den Tod bringen würde. Da nun überhaupt von einer Reise, gleichviel wohin, die Rede war, schien sie vielmehr erfreut als abgeneigt, und gerne ließ der Förster sich's gefallen, bei dieser Gelegenheit einen ziemlich entfernten Freund, den er seit vielen Jahren nicht gesehen, heimzusuchen.
In Kurzem befanden Vater und Tochter sich un- terwegs in einem wohlgepackten Gefährt. Das Wetter war das schönste, nach wenig Stationen sah man schon völlig neue Gegenden. Das Mädchen war zufrieden, ohne gerade lebhafter zu seyn.
Mit dem Aufenthalte in dem kleinen Städtchen Wiedecke, wo der vieljährige Bekannte des Försters, ein jovialer behaglicher Sechziger, als Verwalter eines edelmännischen Guts wohlhabend wie ein kleiner Fürst lebte, begann für Agnes bald eine ganz andere Art den Tag hinzubringen, als sie es bisher gewohnt war. Der lebensfrohe Mann machte sich's zur Pflicht, seine Gäste auf die mannigfaltigste Weise zu vergnügen, und im eigentlichen Sinne des Worts keine Stunde ruhen zu lassen. Sie mußten die Güter der gräflichen Herr- schaft, Gärten, Waldungen, Parks und Fischplätze mu- stern, gelegentlich die Ordnung des Verwalters und seine Einsichten bewundern, man durfte mit keinem
das kürzeſte Mittel zu Ausgleichung des Ganzen wäre, allein die geringſte Erwähnung des Planes bei Agne- ſen verſezte dieſe in den größten Jammer, ſie beſchwor den Vater auf den Knien, von dem Vorhaben abzu- ſtehen, das ihr gewiß den Tod bringen würde. Da nun überhaupt von einer Reiſe, gleichviel wohin, die Rede war, ſchien ſie vielmehr erfreut als abgeneigt, und gerne ließ der Förſter ſich’s gefallen, bei dieſer Gelegenheit einen ziemlich entfernten Freund, den er ſeit vielen Jahren nicht geſehen, heimzuſuchen.
In Kurzem befanden Vater und Tochter ſich un- terwegs in einem wohlgepackten Gefährt. Das Wetter war das ſchönſte, nach wenig Stationen ſah man ſchon völlig neue Gegenden. Das Mädchen war zufrieden, ohne gerade lebhafter zu ſeyn.
Mit dem Aufenthalte in dem kleinen Städtchen Wiedecke, wo der vieljährige Bekannte des Förſters, ein jovialer behaglicher Sechziger, als Verwalter eines edelmänniſchen Guts wohlhabend wie ein kleiner Fürſt lebte, begann für Agnes bald eine ganz andere Art den Tag hinzubringen, als ſie es bisher gewohnt war. Der lebensfrohe Mann machte ſich’s zur Pflicht, ſeine Gäſte auf die mannigfaltigſte Weiſe zu vergnügen, und im eigentlichen Sinne des Worts keine Stunde ruhen zu laſſen. Sie mußten die Güter der gräflichen Herr- ſchaft, Gärten, Waldungen, Parks und Fiſchplätze mu- ſtern, gelegentlich die Ordnung des Verwalters und ſeine Einſichten bewundern, man durfte mit keinem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0091"n="83"/>
das kürzeſte Mittel zu Ausgleichung des Ganzen wäre,<lb/>
allein die geringſte Erwähnung des Planes bei <hirendition="#g">Agne-<lb/>ſen</hi> verſezte dieſe in den größten Jammer, ſie beſchwor<lb/>
den Vater auf den Knien, von dem Vorhaben abzu-<lb/>ſtehen, das ihr gewiß den Tod bringen würde. Da<lb/>
nun überhaupt von einer Reiſe, gleichviel wohin, die<lb/>
Rede war, ſchien ſie vielmehr erfreut als abgeneigt,<lb/>
und gerne ließ der Förſter ſich’s gefallen, bei dieſer<lb/>
Gelegenheit einen ziemlich entfernten Freund, den er<lb/>ſeit vielen Jahren nicht geſehen, heimzuſuchen.</p><lb/><p>In Kurzem befanden Vater und Tochter ſich un-<lb/>
terwegs in einem wohlgepackten Gefährt. Das Wetter<lb/>
war das ſchönſte, nach wenig Stationen ſah man ſchon<lb/>
völlig neue Gegenden. Das Mädchen war zufrieden,<lb/>
ohne gerade lebhafter zu ſeyn.</p><lb/><p>Mit dem Aufenthalte in dem kleinen Städtchen<lb/>
Wiedecke, wo der vieljährige Bekannte des Förſters,<lb/>
ein jovialer behaglicher Sechziger, als Verwalter eines<lb/>
edelmänniſchen Guts wohlhabend wie ein kleiner Fürſt<lb/>
lebte, begann für <hirendition="#g">Agnes</hi> bald eine ganz andere Art<lb/>
den Tag hinzubringen, als ſie es bisher gewohnt war.<lb/>
Der lebensfrohe Mann machte ſich’s zur Pflicht, ſeine<lb/>
Gäſte auf die mannigfaltigſte Weiſe zu vergnügen, und<lb/>
im eigentlichen Sinne des Worts keine Stunde ruhen<lb/>
zu laſſen. Sie mußten die Güter der gräflichen Herr-<lb/>ſchaft, Gärten, Waldungen, Parks und Fiſchplätze mu-<lb/>ſtern, gelegentlich die Ordnung des Verwalters und<lb/>ſeine Einſichten bewundern, man durfte mit keinem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[83/0091]
das kürzeſte Mittel zu Ausgleichung des Ganzen wäre,
allein die geringſte Erwähnung des Planes bei Agne-
ſen verſezte dieſe in den größten Jammer, ſie beſchwor
den Vater auf den Knien, von dem Vorhaben abzu-
ſtehen, das ihr gewiß den Tod bringen würde. Da
nun überhaupt von einer Reiſe, gleichviel wohin, die
Rede war, ſchien ſie vielmehr erfreut als abgeneigt,
und gerne ließ der Förſter ſich’s gefallen, bei dieſer
Gelegenheit einen ziemlich entfernten Freund, den er
ſeit vielen Jahren nicht geſehen, heimzuſuchen.
In Kurzem befanden Vater und Tochter ſich un-
terwegs in einem wohlgepackten Gefährt. Das Wetter
war das ſchönſte, nach wenig Stationen ſah man ſchon
völlig neue Gegenden. Das Mädchen war zufrieden,
ohne gerade lebhafter zu ſeyn.
Mit dem Aufenthalte in dem kleinen Städtchen
Wiedecke, wo der vieljährige Bekannte des Förſters,
ein jovialer behaglicher Sechziger, als Verwalter eines
edelmänniſchen Guts wohlhabend wie ein kleiner Fürſt
lebte, begann für Agnes bald eine ganz andere Art
den Tag hinzubringen, als ſie es bisher gewohnt war.
Der lebensfrohe Mann machte ſich’s zur Pflicht, ſeine
Gäſte auf die mannigfaltigſte Weiſe zu vergnügen, und
im eigentlichen Sinne des Worts keine Stunde ruhen
zu laſſen. Sie mußten die Güter der gräflichen Herr-
ſchaft, Gärten, Waldungen, Parks und Fiſchplätze mu-
ſtern, gelegentlich die Ordnung des Verwalters und
ſeine Einſichten bewundern, man durfte mit keinem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/91>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.