zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Beispiel gegeben.
Die musikalischen Lektionen wurden ausgesezt und fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der in solchen Unterhaltungen eine willkommene Zer- streuung für seine Tochter sah. Diese zeigte nun- mehr eine sonderbare stille Gleichgültigkeit, ließ mit sich anfangen, was man wollte, oder ging ihr lebloses träumerisches Wesen sprungweise in jene zweideutige Munterkeit über, wovon wir oben gesprochen. Der Alte sah es gern, wenn sie mit Otto sich lustig machte, nur stuzte er oft über die Ausgelassenheit, ja Keckheit seines Mädchens, wenn es nach beendigter Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwischen den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem Lehrmeister blitzschnell in die Locken fuhr und auch wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, so daß Freund Otto selbst etwas verlegen ward und mit all seiner sonstigen Gewandtheit sich zum ersten Mal ein wenig linkisch der reizenden Cousine gegen- über ausnahm. "Bist doch mein lieber Vetter," lachte sie dann, "was zierst du dich so närrisch? Aber für- wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir könnt' ich leben, du bist ganz darnach gemacht, daß man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben kann!"
Diese und ähnliche Reden, so arglos sie auch hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich,
zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Beiſpiel gegeben.
Die muſikaliſchen Lektionen wurden ausgeſezt und fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der in ſolchen Unterhaltungen eine willkommene Zer- ſtreuung für ſeine Tochter ſah. Dieſe zeigte nun- mehr eine ſonderbare ſtille Gleichgültigkeit, ließ mit ſich anfangen, was man wollte, oder ging ihr lebloſes träumeriſches Weſen ſprungweiſe in jene zweideutige Munterkeit über, wovon wir oben geſprochen. Der Alte ſah es gern, wenn ſie mit Otto ſich luſtig machte, nur ſtuzte er oft über die Ausgelaſſenheit, ja Keckheit ſeines Mädchens, wenn es nach beendigter Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwiſchen den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem Lehrmeiſter blitzſchnell in die Locken fuhr und auch wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, ſo daß Freund Otto ſelbſt etwas verlegen ward und mit all ſeiner ſonſtigen Gewandtheit ſich zum erſten Mal ein wenig linkiſch der reizenden Couſine gegen- über ausnahm. „Biſt doch mein lieber Vetter,“ lachte ſie dann, „was zierſt du dich ſo närriſch? Aber für- wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir könnt’ ich leben, du biſt ganz darnach gemacht, daß man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben kann!“
Dieſe und ähnliche Reden, ſo arglos ſie auch hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich,
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zu erkennen, wovon wir gleich Anfangs ein Beiſpiel
gegeben.
Die muſikaliſchen Lektionen wurden ausgeſezt und
fingen wieder an, weil es der Vater verlangte, der
in ſolchen Unterhaltungen eine willkommene Zer-
ſtreuung für ſeine Tochter ſah. Dieſe zeigte nun-
mehr eine ſonderbare ſtille Gleichgültigkeit, ließ mit
ſich anfangen, was man wollte, oder ging ihr lebloſes
träumeriſches Weſen ſprungweiſe in jene zweideutige
Munterkeit über, wovon wir oben geſprochen. Der
Alte ſah es gern, wenn ſie mit Otto ſich luſtig
machte, nur ſtuzte er oft über die Ausgelaſſenheit, ja
Keckheit ſeines Mädchens, wenn es nach beendigter
Lektion an ein Spaßen, Lachen und Necken zwiſchen
den jungen Leuten ging, wenn die Schülerin dem
Lehrmeiſter blitzſchnell in die Locken fuhr und auch
wohl einen lebhaften Kuß auf die Stirne drückte, ſo
daß Freund Otto ſelbſt etwas verlegen ward und
mit all ſeiner ſonſtigen Gewandtheit ſich zum erſten
Mal ein wenig linkiſch der reizenden Couſine gegen-
über ausnahm. „Biſt doch mein lieber Vetter,“ lachte
ſie dann, „was zierſt du dich ſo närriſch? Aber für-
wahr, ich wollte, wir wären Brautleute! mit dir
könnt’ ich leben, du biſt ganz darnach gemacht, daß
man dich nicht zu viel und nicht zu wenig lieben
kann!“
Dieſe und ähnliche Reden, ſo arglos ſie auch
hingeworfen waren, klangen dem Alten bedenklich,
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/87>, abgerufen am 27.11.2024.
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