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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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senden, und sich im Schreiben gleichsam selbst des
überglücklichen Bewußtseyns zu versichern, daß sie und
Nolten ewig unzertrennlich seyen.

In solchen Stimmungen mochte sie auch Ottos
Gegenwart nicht ungern leiden, sie behandelte ihn
noch immer mit einiger Zurückhaltung und hatte auch
diese schon halb überwunden; nur als der Vater ge-
legentlich dem Vetter, der die Mandoline fertig spielte,
den Vorschlag machte, das Bäschen in die Lehre zu
nehmen, ward sie einigermaßen verlegen und zauderte,
wiewohl sie den Wunsch früher selbst geäußert hatte
und noch jezt in gewisser Hinsicht Lust dazu empfand.
Auf das freundlichste Zureden Ottos entschloß sie
sich wirklich, und sogleich wurde die Probe gemacht,
die denn auch ganz munter von Statten ging; Ag-
nes
bewies den größten Eifer, denn es galt, den
Geliebten später mit diesem neuen Talent zu überra-
schen, und das kleine Geheimniß machte sie glückselig.

Aber dergleichen lichte Zwischenräume waren vor-
übergehend; jene schwermüthigen Zweifel kehrten nur
um desto angstvoller zurück, und ein solcher alle Kraft
der Seele anspannender Wechsel diente nur, eine
Epoche vorzubereiten, worin die geistige Natur der
Armen unter der Last einer schrecklichen Einbildung
und eines unseligen Geheimnisses unterlag.

Noch immer beobachtete Agnes das tiefste
Stillschweigen über die Begebenheit im Walde, bloß
im Allgemeinen gab sich ihr Gram in lauten Klagen

ſenden, und ſich im Schreiben gleichſam ſelbſt des
überglücklichen Bewußtſeyns zu verſichern, daß ſie und
Nolten ewig unzertrennlich ſeyen.

In ſolchen Stimmungen mochte ſie auch Ottos
Gegenwart nicht ungern leiden, ſie behandelte ihn
noch immer mit einiger Zurückhaltung und hatte auch
dieſe ſchon halb überwunden; nur als der Vater ge-
legentlich dem Vetter, der die Mandoline fertig ſpielte,
den Vorſchlag machte, das Bäschen in die Lehre zu
nehmen, ward ſie einigermaßen verlegen und zauderte,
wiewohl ſie den Wunſch früher ſelbſt geäußert hatte
und noch jezt in gewiſſer Hinſicht Luſt dazu empfand.
Auf das freundlichſte Zureden Ottos entſchloß ſie
ſich wirklich, und ſogleich wurde die Probe gemacht,
die denn auch ganz munter von Statten ging; Ag-
nes
bewies den größten Eifer, denn es galt, den
Geliebten ſpäter mit dieſem neuen Talent zu überra-
ſchen, und das kleine Geheimniß machte ſie glückſelig.

Aber dergleichen lichte Zwiſchenräume waren vor-
übergehend; jene ſchwermüthigen Zweifel kehrten nur
um deſto angſtvoller zurück, und ein ſolcher alle Kraft
der Seele anſpannender Wechſel diente nur, eine
Epoche vorzubereiten, worin die geiſtige Natur der
Armen unter der Laſt einer ſchrecklichen Einbildung
und eines unſeligen Geheimniſſes unterlag.

Noch immer beobachtete Agnes das tiefſte
Stillſchweigen über die Begebenheit im Walde, bloß
im Allgemeinen gab ſich ihr Gram in lauten Klagen

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[78/0086] ſenden, und ſich im Schreiben gleichſam ſelbſt des überglücklichen Bewußtſeyns zu verſichern, daß ſie und Nolten ewig unzertrennlich ſeyen. In ſolchen Stimmungen mochte ſie auch Ottos Gegenwart nicht ungern leiden, ſie behandelte ihn noch immer mit einiger Zurückhaltung und hatte auch dieſe ſchon halb überwunden; nur als der Vater ge- legentlich dem Vetter, der die Mandoline fertig ſpielte, den Vorſchlag machte, das Bäschen in die Lehre zu nehmen, ward ſie einigermaßen verlegen und zauderte, wiewohl ſie den Wunſch früher ſelbſt geäußert hatte und noch jezt in gewiſſer Hinſicht Luſt dazu empfand. Auf das freundlichſte Zureden Ottos entſchloß ſie ſich wirklich, und ſogleich wurde die Probe gemacht, die denn auch ganz munter von Statten ging; Ag- nes bewies den größten Eifer, denn es galt, den Geliebten ſpäter mit dieſem neuen Talent zu überra- ſchen, und das kleine Geheimniß machte ſie glückſelig. Aber dergleichen lichte Zwiſchenräume waren vor- übergehend; jene ſchwermüthigen Zweifel kehrten nur um deſto angſtvoller zurück, und ein ſolcher alle Kraft der Seele anſpannender Wechſel diente nur, eine Epoche vorzubereiten, worin die geiſtige Natur der Armen unter der Laſt einer ſchrecklichen Einbildung und eines unſeligen Geheimniſſes unterlag. Noch immer beobachtete Agnes das tiefſte Stillſchweigen über die Begebenheit im Walde, bloß im Allgemeinen gab ſich ihr Gram in lauten Klagen

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/86>, abgerufen am 27.11.2024.