wovon er selbst noch keine Ahnung hatte, was aber unvermeidlich kommen müsse. So sonderbar es klin- gen mag, so ist es doch gewiß, es traten Augenblicke ein, wo ihre Empfindung gegen Theobald nicht fern von Widerwillen, ja von Abscheu war, allein dergleichen feindliche Regungen widerstrebten dergestalt ihrer innersten Natur, sie selbst kam sich dabei als ein so hassenswürdiges, entstelltes Wesen vor, daß sie mit Absicht Alles und Jedes vorkehrte, was den Bräutigam, auch im äußersten Falle, rechtfertigen könnte. Es kam eine tödtliche Angst über sie, wenn ihr zuweilen die Möglichkeit erschien, daß sie von Dem, der ihr noch jüngst das Theuerste der Welt ge- wesen, jemals geringer denken oder daß er ihr gar sollte gleichgültig werden können, es war ihr, wenn es dahin kommen sollte, als zerstöre sie ihr eigen Selbst, als sey die innerste Wurzel ihres Lebens an- gegriffen, als müßte sie jedem schönen Glauben, Allem, was würdig, hoch und heilig sey, für immerdar ent- sagen. Sie nahm in dieser äußersten Noth ihre Zu- flucht zum Gebet, und flehte mit Inbrunst, Gott möge die Liebe zu Nolten stets frisch bei ihr erhalten, er möge ihr nur helfen, Alles, was leidenschaftlich an dieser Neigung sey, aus ihrem Herzen wegzuscheiden.
Bemerkenswerth ist es, daß das treffliche Mäd- chen, von einem richtigen Takte geleitet, sich mitunter alle Gewalt anthat, ganz unabhängig von jener ver- dächtigen Prophetenstimme zu denken und zu handeln,
wovon er ſelbſt noch keine Ahnung hatte, was aber unvermeidlich kommen müſſe. So ſonderbar es klin- gen mag, ſo iſt es doch gewiß, es traten Augenblicke ein, wo ihre Empfindung gegen Theobald nicht fern von Widerwillen, ja von Abſcheu war, allein dergleichen feindliche Regungen widerſtrebten dergeſtalt ihrer innerſten Natur, ſie ſelbſt kam ſich dabei als ein ſo haſſenswürdiges, entſtelltes Weſen vor, daß ſie mit Abſicht Alles und Jedes vorkehrte, was den Bräutigam, auch im äußerſten Falle, rechtfertigen könnte. Es kam eine tödtliche Angſt über ſie, wenn ihr zuweilen die Möglichkeit erſchien, daß ſie von Dem, der ihr noch jüngſt das Theuerſte der Welt ge- weſen, jemals geringer denken oder daß er ihr gar ſollte gleichgültig werden können, es war ihr, wenn es dahin kommen ſollte, als zerſtöre ſie ihr eigen Selbſt, als ſey die innerſte Wurzel ihres Lebens an- gegriffen, als müßte ſie jedem ſchönen Glauben, Allem, was würdig, hoch und heilig ſey, für immerdar ent- ſagen. Sie nahm in dieſer äußerſten Noth ihre Zu- flucht zum Gebet, und flehte mit Inbrunſt, Gott möge die Liebe zu Nolten ſtets friſch bei ihr erhalten, er möge ihr nur helfen, Alles, was leidenſchaftlich an dieſer Neigung ſey, aus ihrem Herzen wegzuſcheiden.
Bemerkenswerth iſt es, daß das treffliche Mäd- chen, von einem richtigen Takte geleitet, ſich mitunter alle Gewalt anthat, ganz unabhängig von jener ver- dächtigen Prophetenſtimme zu denken und zu handeln,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0084"n="76"/>
wovon er ſelbſt noch keine Ahnung hatte, was aber<lb/>
unvermeidlich kommen müſſe. So ſonderbar es klin-<lb/>
gen mag, ſo iſt es doch gewiß, es traten Augenblicke<lb/>
ein, wo ihre Empfindung gegen <hirendition="#g">Theobald</hi> nicht<lb/>
fern von Widerwillen, ja von Abſcheu war, allein<lb/>
dergleichen feindliche Regungen widerſtrebten dergeſtalt<lb/>
ihrer innerſten Natur, ſie ſelbſt kam ſich dabei als<lb/>
ein ſo haſſenswürdiges, entſtelltes Weſen vor, daß ſie<lb/>
mit Abſicht Alles und Jedes vorkehrte, was den<lb/>
Bräutigam, auch im äußerſten Falle, rechtfertigen<lb/>
könnte. Es kam eine tödtliche Angſt über ſie, wenn<lb/>
ihr zuweilen die Möglichkeit erſchien, daß ſie von<lb/>
Dem, der ihr noch jüngſt das Theuerſte der Welt ge-<lb/>
weſen, jemals geringer denken oder daß er ihr gar<lb/>ſollte gleichgültig werden können, es war ihr, wenn<lb/>
es dahin kommen ſollte, als zerſtöre ſie ihr eigen<lb/>
Selbſt, als ſey die innerſte Wurzel ihres Lebens an-<lb/>
gegriffen, als müßte ſie jedem ſchönen Glauben, Allem,<lb/>
was würdig, hoch und heilig ſey, für immerdar ent-<lb/>ſagen. Sie nahm in dieſer äußerſten Noth ihre Zu-<lb/>
flucht zum Gebet, und flehte mit Inbrunſt, Gott möge<lb/>
die Liebe zu <hirendition="#g">Nolten</hi>ſtets friſch bei ihr erhalten, er<lb/>
möge ihr nur helfen, Alles, was leidenſchaftlich an<lb/>
dieſer Neigung ſey, aus ihrem Herzen wegzuſcheiden.</p><lb/><p>Bemerkenswerth iſt es, daß das treffliche Mäd-<lb/>
chen, von einem richtigen Takte geleitet, ſich mitunter<lb/>
alle Gewalt anthat, ganz unabhängig von jener ver-<lb/>
dächtigen Prophetenſtimme zu denken und zu handeln,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[76/0084]
wovon er ſelbſt noch keine Ahnung hatte, was aber
unvermeidlich kommen müſſe. So ſonderbar es klin-
gen mag, ſo iſt es doch gewiß, es traten Augenblicke
ein, wo ihre Empfindung gegen Theobald nicht
fern von Widerwillen, ja von Abſcheu war, allein
dergleichen feindliche Regungen widerſtrebten dergeſtalt
ihrer innerſten Natur, ſie ſelbſt kam ſich dabei als
ein ſo haſſenswürdiges, entſtelltes Weſen vor, daß ſie
mit Abſicht Alles und Jedes vorkehrte, was den
Bräutigam, auch im äußerſten Falle, rechtfertigen
könnte. Es kam eine tödtliche Angſt über ſie, wenn
ihr zuweilen die Möglichkeit erſchien, daß ſie von
Dem, der ihr noch jüngſt das Theuerſte der Welt ge-
weſen, jemals geringer denken oder daß er ihr gar
ſollte gleichgültig werden können, es war ihr, wenn
es dahin kommen ſollte, als zerſtöre ſie ihr eigen
Selbſt, als ſey die innerſte Wurzel ihres Lebens an-
gegriffen, als müßte ſie jedem ſchönen Glauben, Allem,
was würdig, hoch und heilig ſey, für immerdar ent-
ſagen. Sie nahm in dieſer äußerſten Noth ihre Zu-
flucht zum Gebet, und flehte mit Inbrunſt, Gott möge
die Liebe zu Nolten ſtets friſch bei ihr erhalten, er
möge ihr nur helfen, Alles, was leidenſchaftlich an
dieſer Neigung ſey, aus ihrem Herzen wegzuſcheiden.
Bemerkenswerth iſt es, daß das treffliche Mäd-
chen, von einem richtigen Takte geleitet, ſich mitunter
alle Gewalt anthat, ganz unabhängig von jener ver-
dächtigen Prophetenſtimme zu denken und zu handeln,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/84>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.