gen denken mußte, -- in einem Irrthum, den sie nicht länger mit ihm theilen durfte noch wollte, der ihr abscheulich und beneidenswerth zugleich vorkam.
Jener Fieberanfall ging indeß vorüber und außer einer gewissen Ueberspannung hielt man das Mädchen für gesund. Die Ungewißheit ihres Schicksals be- schäftigte sie Tag und Nacht. Suchte sie auch einen Augenblick jene drohenden Aussprüche mit ruhigem Verstande zu bestreiten, schalt sie sich abergläubisch, thöricht, schwach, sie fand doch immer zwanzig Gründe gegen Einen, und selbst im Fall die unerhörteste Täuschung des Weibes mit im Spiele war, so schien dieser seltsame Zufall ihr wenigstens eine früher ge- fühlte Wahrheit auf's wunderbarste zu bestätigen. Denn freilich hatte sie bei dem Gespräch im Walde nicht bemerkt, wie viel ihr die Zigeunerin, nachdem das erste auf's Ungefähr keck hingeworfene Wort einmal gezündet, mit leisem Tasten abzulauschen wußte, noch weniger ließ sie sich träumen, daß eben diese Person auf sehr natürlichem Wege von der äußeren Lage der Dinge im Allgemeinen unterrichtet, mit Theobald nicht unbekannt, und, wie sich späterhin entdecken wird, überhaupt gar sehr bei der Sache interessirt war. Was aber immer die geheime Absicht dabei seyn mochte, genug, das arme Kind war schon ge- neigt, einen höheren Wink in jenem Auftritte zu er- blicken.
Indessen, es gehen zuweilen Veränderungen in un-
gen denken mußte, — in einem Irrthum, den ſie nicht länger mit ihm theilen durfte noch wollte, der ihr abſcheulich und beneidenswerth zugleich vorkam.
Jener Fieberanfall ging indeß vorüber und außer einer gewiſſen Ueberſpannung hielt man das Mädchen für geſund. Die Ungewißheit ihres Schickſals be- ſchäftigte ſie Tag und Nacht. Suchte ſie auch einen Augenblick jene drohenden Ausſprüche mit ruhigem Verſtande zu beſtreiten, ſchalt ſie ſich abergläubiſch, thöricht, ſchwach, ſie fand doch immer zwanzig Gründe gegen Einen, und ſelbſt im Fall die unerhörteſte Täuſchung des Weibes mit im Spiele war, ſo ſchien dieſer ſeltſame Zufall ihr wenigſtens eine früher ge- fühlte Wahrheit auf’s wunderbarſte zu beſtätigen. Denn freilich hatte ſie bei dem Geſpräch im Walde nicht bemerkt, wie viel ihr die Zigeunerin, nachdem das erſte auf’s Ungefähr keck hingeworfene Wort einmal gezündet, mit leiſem Taſten abzulauſchen wußte, noch weniger ließ ſie ſich träumen, daß eben dieſe Perſon auf ſehr natürlichem Wege von der äußeren Lage der Dinge im Allgemeinen unterrichtet, mit Theobald nicht unbekannt, und, wie ſich ſpäterhin entdecken wird, überhaupt gar ſehr bei der Sache intereſſirt war. Was aber immer die geheime Abſicht dabei ſeyn mochte, genug, das arme Kind war ſchon ge- neigt, einen höheren Wink in jenem Auftritte zu er- blicken.
Indeſſen, es gehen zuweilen Veränderungen in un-
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gen denken mußte, — in einem Irrthum, den ſie
nicht länger mit ihm theilen durfte noch wollte, der
ihr abſcheulich und beneidenswerth zugleich vorkam.
Jener Fieberanfall ging indeß vorüber und außer
einer gewiſſen Ueberſpannung hielt man das Mädchen
für geſund. Die Ungewißheit ihres Schickſals be-
ſchäftigte ſie Tag und Nacht. Suchte ſie auch einen
Augenblick jene drohenden Ausſprüche mit ruhigem
Verſtande zu beſtreiten, ſchalt ſie ſich abergläubiſch,
thöricht, ſchwach, ſie fand doch immer zwanzig Gründe
gegen Einen, und ſelbſt im Fall die unerhörteſte
Täuſchung des Weibes mit im Spiele war, ſo ſchien
dieſer ſeltſame Zufall ihr wenigſtens eine früher ge-
fühlte Wahrheit auf’s wunderbarſte zu beſtätigen.
Denn freilich hatte ſie bei dem Geſpräch im Walde
nicht bemerkt, wie viel ihr die Zigeunerin, nachdem
das erſte auf’s Ungefähr keck hingeworfene Wort einmal
gezündet, mit leiſem Taſten abzulauſchen wußte, noch
weniger ließ ſie ſich träumen, daß eben dieſe Perſon
auf ſehr natürlichem Wege von der äußeren Lage der
Dinge im Allgemeinen unterrichtet, mit Theobald
nicht unbekannt, und, wie ſich ſpäterhin entdecken
wird, überhaupt gar ſehr bei der Sache intereſſirt
war. Was aber immer die geheime Abſicht dabei
ſeyn mochte, genug, das arme Kind war ſchon ge-
neigt, einen höheren Wink in jenem Auftritte zu er-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/82>, abgerufen am 26.11.2024.
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