Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

merkt, daß er oft lange Weile bei mir hatte, daß ihn
etwas beengte, stocken machte? Seht, wenn er bei
mir saß, mir seine Hand hinlieh und ich verstummte,
nichts in der Welt begehrte, als ihm nur immer in
die Augen zu sehn, dann lächelt' er wohl, -- ach, und
wie lieb, wie treulich! nein, das macht ihm kein An-
derer nach! Und hab ich dann nicht oft, mitten in der
hellen Freude, bestürzt mich weggewandt und das Ge-
sicht mit beiden Händen zugedeckt, geweint und ihm
verhehlt, was eben an mich kam? -- ach, denn ich
fürchtete, er könnte mir im Stillen Recht geben, ich
wollt' ihm nicht selber drauf helfen, wie ungleich wir
uns seyen, wie übel er im Grunde mit mir berathen
sey." So fuhr sie eine Zeitlang fort und endete zulezt
mit bittern Thränen; dann konnte es geschehn, daß sie
sich schnell zusammennahm, gleichsam gegen den Strom
ihres Gefühls zu schwimmen strebte, und mit dem Ton
des liebenswürdigsten Stolzes fing das schöne Kind
nun an, sich zu rechtfertigen, sich zu vergleichen; die
blasse Wange färbte sich ein wenig, ihr Auge leuchtete,
es war der rührendste Streit von leidender Demuth
und edlem Selbstbewußtseyn.

Diese sonderbare Unzufriedenheit, ja dieß Ver-
zweifeln an allem eigenen Werthe fiel desto stärker auf,
da Theobald in der That nicht die geringste Ursache
zu dergleichen gegeben, man auch früher kaum die
Spur von einer solchen Aengstlichkeit an ihr entdeckte.
Jezt ward es freilich aus manchen ihrer Aeußerungen

merkt, daß er oft lange Weile bei mir hatte, daß ihn
etwas beengte, ſtocken machte? Seht, wenn er bei
mir ſaß, mir ſeine Hand hinlieh und ich verſtummte,
nichts in der Welt begehrte, als ihm nur immer in
die Augen zu ſehn, dann lächelt’ er wohl, — ach, und
wie lieb, wie treulich! nein, das macht ihm kein An-
derer nach! Und hab ich dann nicht oft, mitten in der
hellen Freude, beſtürzt mich weggewandt und das Ge-
ſicht mit beiden Händen zugedeckt, geweint und ihm
verhehlt, was eben an mich kam? — ach, denn ich
fürchtete, er könnte mir im Stillen Recht geben, ich
wollt’ ihm nicht ſelber drauf helfen, wie ungleich wir
uns ſeyen, wie übel er im Grunde mit mir berathen
ſey.“ So fuhr ſie eine Zeitlang fort und endete zulezt
mit bittern Thränen; dann konnte es geſchehn, daß ſie
ſich ſchnell zuſammennahm, gleichſam gegen den Strom
ihres Gefühls zu ſchwimmen ſtrebte, und mit dem Ton
des liebenswürdigſten Stolzes fing das ſchöne Kind
nun an, ſich zu rechtfertigen, ſich zu vergleichen; die
blaſſe Wange färbte ſich ein wenig, ihr Auge leuchtete,
es war der rührendſte Streit von leidender Demuth
und edlem Selbſtbewußtſeyn.

Dieſe ſonderbare Unzufriedenheit, ja dieß Ver-
zweifeln an allem eigenen Werthe fiel deſto ſtärker auf,
da Theobald in der That nicht die geringſte Urſache
zu dergleichen gegeben, man auch früher kaum die
Spur von einer ſolchen Aengſtlichkeit an ihr entdeckte.
Jezt ward es freilich aus manchen ihrer Aeußerungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0076" n="68"/>
merkt, daß er oft lange Weile bei mir hatte, daß ihn<lb/>
etwas beengte, &#x017F;tocken machte? Seht, wenn er bei<lb/>
mir &#x017F;aß, mir &#x017F;eine Hand hinlieh und ich ver&#x017F;tummte,<lb/>
nichts in der Welt begehrte, als ihm nur immer in<lb/>
die Augen zu &#x017F;ehn, dann lächelt&#x2019; er wohl, &#x2014; ach, und<lb/>
wie lieb, wie treulich! nein, das macht ihm kein An-<lb/>
derer nach! Und hab ich dann nicht oft, mitten in der<lb/>
hellen Freude, be&#x017F;türzt mich weggewandt und das Ge-<lb/>
&#x017F;icht mit beiden Händen zugedeckt, geweint und ihm<lb/>
verhehlt, was eben an mich kam? &#x2014; ach, denn ich<lb/>
fürchtete, er könnte mir im Stillen Recht geben, ich<lb/>
wollt&#x2019; ihm nicht &#x017F;elber drauf helfen, wie ungleich wir<lb/>
uns &#x017F;eyen, wie übel er im Grunde mit mir berathen<lb/>
&#x017F;ey.&#x201C; So fuhr &#x017F;ie eine Zeitlang fort und endete zulezt<lb/>
mit bittern Thränen; dann konnte es ge&#x017F;chehn, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;chnell zu&#x017F;ammennahm, gleich&#x017F;am gegen den Strom<lb/>
ihres Gefühls zu &#x017F;chwimmen &#x017F;trebte, und mit dem Ton<lb/>
des liebenswürdig&#x017F;ten Stolzes fing das &#x017F;chöne Kind<lb/>
nun an, &#x017F;ich zu rechtfertigen, &#x017F;ich zu vergleichen; die<lb/>
bla&#x017F;&#x017F;e Wange färbte &#x017F;ich ein wenig, ihr Auge leuchtete,<lb/>
es war der rührend&#x017F;te Streit von leidender Demuth<lb/>
und edlem Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e &#x017F;onderbare Unzufriedenheit, ja dieß Ver-<lb/>
zweifeln an allem eigenen Werthe fiel de&#x017F;to &#x017F;tärker auf,<lb/>
da <hi rendition="#g">Theobald</hi> in der That nicht die gering&#x017F;te Ur&#x017F;ache<lb/>
zu dergleichen gegeben, man auch früher kaum die<lb/>
Spur von einer &#x017F;olchen Aeng&#x017F;tlichkeit an ihr entdeckte.<lb/>
Jezt ward es freilich aus manchen ihrer Aeußerungen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0076] merkt, daß er oft lange Weile bei mir hatte, daß ihn etwas beengte, ſtocken machte? Seht, wenn er bei mir ſaß, mir ſeine Hand hinlieh und ich verſtummte, nichts in der Welt begehrte, als ihm nur immer in die Augen zu ſehn, dann lächelt’ er wohl, — ach, und wie lieb, wie treulich! nein, das macht ihm kein An- derer nach! Und hab ich dann nicht oft, mitten in der hellen Freude, beſtürzt mich weggewandt und das Ge- ſicht mit beiden Händen zugedeckt, geweint und ihm verhehlt, was eben an mich kam? — ach, denn ich fürchtete, er könnte mir im Stillen Recht geben, ich wollt’ ihm nicht ſelber drauf helfen, wie ungleich wir uns ſeyen, wie übel er im Grunde mit mir berathen ſey.“ So fuhr ſie eine Zeitlang fort und endete zulezt mit bittern Thränen; dann konnte es geſchehn, daß ſie ſich ſchnell zuſammennahm, gleichſam gegen den Strom ihres Gefühls zu ſchwimmen ſtrebte, und mit dem Ton des liebenswürdigſten Stolzes fing das ſchöne Kind nun an, ſich zu rechtfertigen, ſich zu vergleichen; die blaſſe Wange färbte ſich ein wenig, ihr Auge leuchtete, es war der rührendſte Streit von leidender Demuth und edlem Selbſtbewußtſeyn. Dieſe ſonderbare Unzufriedenheit, ja dieß Ver- zweifeln an allem eigenen Werthe fiel deſto ſtärker auf, da Theobald in der That nicht die geringſte Urſache zu dergleichen gegeben, man auch früher kaum die Spur von einer ſolchen Aengſtlichkeit an ihr entdeckte. Jezt ward es freilich aus manchen ihrer Aeußerungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/76
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/76>, abgerufen am 26.11.2024.