indessen auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte eine Ausnahme, weil Agnes die Gelegenheit durch die Freunde ohne Umschweif nützen zu können meinte, und so war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge- ringem Schrecken des heimlichen Korrespondenten in die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenigsten gehörte, und dem sein Inhalt das ganze hübsche Ge- webe hätte verrathen müssen. Eine geschärfte Instruk- tion für die Briefstellerin war die einzige Folge dieser glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern Grund, ungesäumt an Agnes, so wie auch an den Förster, zu schreiben, fand Larkens in der Ungewiß- heit über die bewußte Ehrensache. Er sezte sich noch in dieser Stunde nieder, doch mit dem Vorsatze, seine Sorge nur so gelinde als möglich reden zu lassen, und seine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten, damit nicht etwa ein Verstoß gegen frühere Verhand- lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vorschein komme.
Um aber die Stellung Noltens gegen die Braut ganz anschaulich zu machen, müssen wir in der Zeit etwas zurückschreiten und Folgendes er- zählen.
Das Verhältniß der Verlobten stand in der wün- schenswerthesten Blüthe, als Agnes durch eine heftige Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der kritische Zeitpunkt ging indessen gegen Erwartung glück-
indeſſen auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte eine Ausnahme, weil Agnes die Gelegenheit durch die Freunde ohne Umſchweif nützen zu können meinte, und ſo war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge- ringem Schrecken des heimlichen Korreſpondenten in die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenigſten gehörte, und dem ſein Inhalt das ganze hübſche Ge- webe hätte verrathen müſſen. Eine geſchärfte Inſtruk- tion für die Briefſtellerin war die einzige Folge dieſer glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern Grund, ungeſäumt an Agnes, ſo wie auch an den Förſter, zu ſchreiben, fand Larkens in der Ungewiß- heit über die bewußte Ehrenſache. Er ſezte ſich noch in dieſer Stunde nieder, doch mit dem Vorſatze, ſeine Sorge nur ſo gelinde als möglich reden zu laſſen, und ſeine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten, damit nicht etwa ein Verſtoß gegen frühere Verhand- lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vorſchein komme.
Um aber die Stellung Noltens gegen die Braut ganz anſchaulich zu machen, müſſen wir in der Zeit etwas zurückſchreiten und Folgendes er- zählen.
Das Verhältniß der Verlobten ſtand in der wün- ſchenswertheſten Blüthe, als Agnes durch eine heftige Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der kritiſche Zeitpunkt ging indeſſen gegen Erwartung glück-
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[66/0074]
indeſſen auch pflichtlich, nur das lezte Billet machte
eine Ausnahme, weil Agnes die Gelegenheit durch
die Freunde ohne Umſchweif nützen zu können meinte,
und ſo war das Papier wirklich zu Anfangs nicht ge-
ringem Schrecken des heimlichen Korreſpondenten in
die Hände desjenigen gelangt, für den es am wenigſten
gehörte, und dem ſein Inhalt das ganze hübſche Ge-
webe hätte verrathen müſſen. Eine geſchärfte Inſtruk-
tion für die Briefſtellerin war die einzige Folge dieſer
glücklich abgeleiteten Gefahr, aber einen weit wichtigern
Grund, ungeſäumt an Agnes, ſo wie auch an den
Förſter, zu ſchreiben, fand Larkens in der Ungewiß-
heit über die bewußte Ehrenſache. Er ſezte ſich noch
in dieſer Stunde nieder, doch mit dem Vorſatze, ſeine
Sorge nur ſo gelinde als möglich reden zu laſſen, und
ſeine Erkundigungen ganz im Allgemeinen zu halten,
damit nicht etwa ein Verſtoß gegen frühere Verhand-
lungen, die ihm unbekannt waren, zum Vorſchein
komme.
Um aber die Stellung Noltens gegen die
Braut ganz anſchaulich zu machen, müſſen wir
in der Zeit etwas zurückſchreiten und Folgendes er-
zählen.
Das Verhältniß der Verlobten ſtand in der wün-
ſchenswertheſten Blüthe, als Agnes durch eine heftige
Nervenkrankheit dem Tode nahe gebracht ward. Der
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/74>, abgerufen am 26.11.2024.
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