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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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rührendsten psychologischen Subtilitäten, als gälte es
eine Preisaufgabe, den Leichtsinn einer läppischen
Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft sogar
die Medizin zu Hülfe; es ist wahr, das Mädchen
war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten
die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu
schaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem
zu glauben habe. Ich schrieb ihr, wie du weißt, seit
sechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch sie
habe stillschweigend resignirt, allein der Alte mag von
Verbesserung meiner Umstände gehört haben: nun er-
halt' ich gestern unerwartet einen Wisch durch Fer-
dinand
-- da!"

Larkens griff hastig nach dem Briefe, und zwar
mit einer Bestürzung, die nur in diesem Augenblicke
dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm
das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt
sagte: "behalt' es, vergrab' es bei dir, bester einziger
Larkens! und wenn es möglich ist, verschone mich
mit seinem Inhalt, antworte statt meiner, nicht wahr,
du thust mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht
ist, seit ich des Quarks los bin! -- Alter, komm',
laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder lustig
machen. Der Tag schläft noch fest. Laß diese trübe
Lampe mit unsern verdüsterten Geistern sich im Kar-
funkel des Burgunders spiegeln!"

In Kurzem stand eine kühle Flasche auf dem
Tische. Man suchte einige Lieblingsmaterien der Kunst

rührendſten pſychologiſchen Subtilitäten, als gälte es
eine Preisaufgabe, den Leichtſinn einer läppiſchen
Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft ſogar
die Medizin zu Hülfe; es iſt wahr, das Mädchen
war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten
die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu
ſchaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem
zu glauben habe. Ich ſchrieb ihr, wie du weißt, ſeit
ſechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch ſie
habe ſtillſchweigend reſignirt, allein der Alte mag von
Verbeſſerung meiner Umſtände gehört haben: nun er-
halt’ ich geſtern unerwartet einen Wiſch durch Fer-
dinand
— da!“

Larkens griff haſtig nach dem Briefe, und zwar
mit einer Beſtürzung, die nur in dieſem Augenblicke
dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm
das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt
ſagte: „behalt’ es, vergrab’ es bei dir, beſter einziger
Larkens! und wenn es möglich iſt, verſchone mich
mit ſeinem Inhalt, antworte ſtatt meiner, nicht wahr,
du thuſt mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht
iſt, ſeit ich des Quarks los bin! — Alter, komm’,
laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder luſtig
machen. Der Tag ſchläft noch feſt. Laß dieſe trübe
Lampe mit unſern verdüſterten Geiſtern ſich im Kar-
funkel des Burgunders ſpiegeln!“

In Kurzem ſtand eine kühle Flaſche auf dem
Tiſche. Man ſuchte einige Lieblingsmaterien der Kunſt

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[59/0067] rührendſten pſychologiſchen Subtilitäten, als gälte es eine Preisaufgabe, den Leichtſinn einer läppiſchen Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft ſogar die Medizin zu Hülfe; es iſt wahr, das Mädchen war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu ſchaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von Allem zu glauben habe. Ich ſchrieb ihr, wie du weißt, ſeit ſechs Monaten nicht mehr, und hoffte zulezt, auch ſie habe ſtillſchweigend reſignirt, allein der Alte mag von Verbeſſerung meiner Umſtände gehört haben: nun er- halt’ ich geſtern unerwartet einen Wiſch durch Fer- dinand — da!“ Larkens griff haſtig nach dem Briefe, und zwar mit einer Beſtürzung, die nur in dieſem Augenblicke dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm das Papier beinahe bittend auf, indem er wiederholt ſagte: „behalt’ es, vergrab’ es bei dir, beſter einziger Larkens! und wenn es möglich iſt, verſchone mich mit ſeinem Inhalt, antworte ſtatt meiner, nicht wahr, du thuſt mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht iſt, ſeit ich des Quarks los bin! — Alter, komm’, laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder luſtig machen. Der Tag ſchläft noch feſt. Laß dieſe trübe Lampe mit unſern verdüſterten Geiſtern ſich im Kar- funkel des Burgunders ſpiegeln!“ In Kurzem ſtand eine kühle Flaſche auf dem Tiſche. Man ſuchte einige Lieblingsmaterien der Kunſt

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/67>, abgerufen am 25.11.2024.