Sohn soll mir kein Maler werden! So lang' ich lebe und gebiete, soll er's nicht!"
Die Mädchen machten große Augen zu diesen Worten, denn es war beinahe das Erstemal, daß der Vater über seinen Liebling entrüstet schien, und doch war auch dieß nur der ängstliche Ausdruck seiner grän- zenlosen Vorliebe für ihn. Endlich brach er auf und noch während des Auskleidens redete er nach seiner heftigen Gewohnheit laut mit sich selber über den störenden Vorfall des Abends.
Am folgenden Morgen meldete der Knecht, daß, als er mit Tagesanbruch aufgestanden und in den Hof getreten, um Wasser zu schöpfen, das Zigeuner- mädchen ihm dort in die Hände gelaufen sey; sie hätte sich nur ihr Kleiderbündel von ihm bringen las- sen, um sogleich weiter zu gehen. Sie habe ihm ei- nen freundlichen Gruß an Adelheid, besonders aber an den jungen Herren befohlen. Ein Medaillon, das sie vom Halse losgeknüpft, soll man ihm als Ange- binde von ihr einhändigen.
Der Vater nahm das Kleinod sogleich in Em- pfang; es war von feinem Golde, blau emaillirt, mit einer unverständlichen orientalischen Inschrift; er ver- schloß es und verbot Jedermann auf's Strengste, sei- nem Sohn etwas von diesem Auftrage kund zu thun.
Der junge Mensch hatte außer Adelheiden keine Seele, der er sein Inneres hätte offenbaren mö-
Sohn ſoll mir kein Maler werden! So lang’ ich lebe und gebiete, ſoll er’s nicht!“
Die Mädchen machten große Augen zu dieſen Worten, denn es war beinahe das Erſtemal, daß der Vater über ſeinen Liebling entrüſtet ſchien, und doch war auch dieß nur der ängſtliche Ausdruck ſeiner grän- zenloſen Vorliebe für ihn. Endlich brach er auf und noch während des Auskleidens redete er nach ſeiner heftigen Gewohnheit laut mit ſich ſelber über den ſtörenden Vorfall des Abends.
Am folgenden Morgen meldete der Knecht, daß, als er mit Tagesanbruch aufgeſtanden und in den Hof getreten, um Waſſer zu ſchöpfen, das Zigeuner- mädchen ihm dort in die Hände gelaufen ſey; ſie hätte ſich nur ihr Kleiderbündel von ihm bringen laſ- ſen, um ſogleich weiter zu gehen. Sie habe ihm ei- nen freundlichen Gruß an Adelheid, beſonders aber an den jungen Herren befohlen. Ein Medaillon, das ſie vom Halſe losgeknüpft, ſoll man ihm als Ange- binde von ihr einhändigen.
Der Vater nahm das Kleinod ſogleich in Em- pfang; es war von feinem Golde, blau emaillirt, mit einer unverſtändlichen orientaliſchen Inſchrift; er ver- ſchloß es und verbot Jedermann auf’s Strengſte, ſei- nem Sohn etwas von dieſem Auftrage kund zu thun.
Der junge Menſch hatte außer Adelheiden keine Seele, der er ſein Inneres hätte offenbaren mö-
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Sohn ſoll mir kein Maler werden! So lang’ ich
lebe und gebiete, ſoll er’s nicht!“
Die Mädchen machten große Augen zu dieſen
Worten, denn es war beinahe das Erſtemal, daß der
Vater über ſeinen Liebling entrüſtet ſchien, und doch
war auch dieß nur der ängſtliche Ausdruck ſeiner grän-
zenloſen Vorliebe für ihn. Endlich brach er auf und
noch während des Auskleidens redete er nach ſeiner
heftigen Gewohnheit laut mit ſich ſelber über den
ſtörenden Vorfall des Abends.
Am folgenden Morgen meldete der Knecht, daß,
als er mit Tagesanbruch aufgeſtanden und in den
Hof getreten, um Waſſer zu ſchöpfen, das Zigeuner-
mädchen ihm dort in die Hände gelaufen ſey; ſie
hätte ſich nur ihr Kleiderbündel von ihm bringen laſ-
ſen, um ſogleich weiter zu gehen. Sie habe ihm ei-
nen freundlichen Gruß an Adelheid, beſonders aber
an den jungen Herren befohlen. Ein Medaillon, das
ſie vom Halſe losgeknüpft, ſoll man ihm als Ange-
binde von ihr einhändigen.
Der Vater nahm das Kleinod ſogleich in Em-
pfang; es war von feinem Golde, blau emaillirt, mit
einer unverſtändlichen orientaliſchen Inſchrift; er ver-
ſchloß es und verbot Jedermann auf’s Strengſte, ſei-
nem Sohn etwas von dieſem Auftrage kund zu thun.
Der junge Menſch hatte außer Adelheiden
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/330>, abgerufen am 30.01.2025.
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