lieh, daß er den Fallstrick des Versuchers vermeide und nie die Bahn heilsamer Ordnung verlasse. Ich denke hier an meinen eigenen Sohn, an Theobald. Der Junge hat, so fromm und sanft er ist, mich manchmal schon erschreckt. So ganz das Gegentheil von mir! So manches Uebertriebene, Unnatürliche! So heute wieder -- mir läuft die Galle über, wenn ich's denke -- was soll die dumme Neugierde auf die Fremde? nichts, als daß seine Phantasie toll wird! Und du, Adelheid, machst oft gemeinschaftliche Sache mit ihm, statt ihn zu leiten. -- Er läßt sich nicht wie andere Knaben seines Alters an. Da -- stunden- lang oben im Glockenstuhl sitzen, wie ein Träumer, Spinnen ätzen und aufziehen, einfältige Geheimnisse, Zettel, Münzen unter die Erde vergraben -- was sind mir das für Bizarrerien? Und daß ich einen Maler aus ihm mache, soll er sich nur nicht einbil- den. Das ist das ewige Zeichnen und Pinseln! wo man hinsieht, ärgert man sich über so ein Fratzenge- sicht, das er gekritzelt hat, und wär's auch nur auf dem Zinnteller. Wenn er einmal Sonntags Nachmittag zur Erholung sich eine Stunde hinsezte und machte einen ordentlichen Baum, ein Haus und dergleichen nach einem braven Original, so hätt' ich nichts dage- gen, aber da sind es nur immer seine eigenen Grillen, hexenhafte Karikaturen und was weiß ich. Bei Gott! gerade solche Possen hat Onkel Friedrich in seiner Jugend gehabt. Nein, bei meiner armen Seele, mein
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lieh, daß er den Fallſtrick des Verſuchers vermeide und nie die Bahn heilſamer Ordnung verlaſſe. Ich denke hier an meinen eigenen Sohn, an Theobald. Der Junge hat, ſo fromm und ſanft er iſt, mich manchmal ſchon erſchreckt. So ganz das Gegentheil von mir! So manches Uebertriebene, Unnatürliche! So heute wieder — mir läuft die Galle über, wenn ich’s denke — was ſoll die dumme Neugierde auf die Fremde? nichts, als daß ſeine Phantaſie toll wird! Und du, Adelheid, machſt oft gemeinſchaftliche Sache mit ihm, ſtatt ihn zu leiten. — Er läßt ſich nicht wie andere Knaben ſeines Alters an. Da — ſtunden- lang oben im Glockenſtuhl ſitzen, wie ein Träumer, Spinnen ätzen und aufziehen, einfältige Geheimniſſe, Zettel, Münzen unter die Erde vergraben — was ſind mir das für Bizarrerien? Und daß ich einen Maler aus ihm mache, ſoll er ſich nur nicht einbil- den. Das iſt das ewige Zeichnen und Pinſeln! wo man hinſieht, ärgert man ſich über ſo ein Fratzenge- ſicht, das er gekritzelt hat, und wär’s auch nur auf dem Zinnteller. Wenn er einmal Sonntags Nachmittag zur Erholung ſich eine Stunde hinſezte und machte einen ordentlichen Baum, ein Haus und dergleichen nach einem braven Original, ſo hätt’ ich nichts dage- gen, aber da ſind es nur immer ſeine eigenen Grillen, hexenhafte Karikaturen und was weiß ich. Bei Gott! gerade ſolche Poſſen hat Onkel Friedrich in ſeiner Jugend gehabt. Nein, bei meiner armen Seele, mein
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lieh, daß er den Fallſtrick des Verſuchers vermeide
und nie die Bahn heilſamer Ordnung verlaſſe. Ich
denke hier an meinen eigenen Sohn, an Theobald.
Der Junge hat, ſo fromm und ſanft er iſt, mich
manchmal ſchon erſchreckt. So ganz das Gegentheil
von mir! So manches Uebertriebene, Unnatürliche!
So heute wieder — mir läuft die Galle über, wenn
ich’s denke — was ſoll die dumme Neugierde auf die
Fremde? nichts, als daß ſeine Phantaſie toll wird!
Und du, Adelheid, machſt oft gemeinſchaftliche Sache
mit ihm, ſtatt ihn zu leiten. — Er läßt ſich nicht wie
andere Knaben ſeines Alters an. Da — ſtunden-
lang oben im Glockenſtuhl ſitzen, wie ein Träumer,
Spinnen ätzen und aufziehen, einfältige Geheimniſſe,
Zettel, Münzen unter die Erde vergraben — was
ſind mir das für Bizarrerien? Und daß ich einen
Maler aus ihm mache, ſoll er ſich nur nicht einbil-
den. Das iſt das ewige Zeichnen und Pinſeln! wo
man hinſieht, ärgert man ſich über ſo ein Fratzenge-
ſicht, das er gekritzelt hat, und wär’s auch nur auf dem
Zinnteller. Wenn er einmal Sonntags Nachmittag
zur Erholung ſich eine Stunde hinſezte und machte
einen ordentlichen Baum, ein Haus und dergleichen
nach einem braven Original, ſo hätt’ ich nichts dage-
gen, aber da ſind es nur immer ſeine eigenen Grillen,
hexenhafte Karikaturen und was weiß ich. Bei Gott!
gerade ſolche Poſſen hat Onkel Friedrich in ſeiner
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/329>, abgerufen am 30.01.2025.
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