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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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sein siebentes Jahr. Da strafte Gott den hart Ge-
züchtigten mit einem neuen Unglück. Das Kind ward
eines Tags vermißt, niemand begriff, wohin es gera-
then seyn konnte. Später fand man Ursache, zu glau-
ben, daß die verruchte Bande den Aufenthalt meines
Bruders entdeckt, und weil die Frau nicht mehr
zu stehlen war, sich durch den Raub des Mädchens
an dem Vater gerächt habe. Sein halb Vermögen
ließ dieser es sich kosten, seinen Augapfel wieder an
sich zu bekommen; vergebens, er mußte die Tochter
verloren geben, und nie vernahm man weiter etwas
von ihr. Und heute nun -- es ist ja unfaßlich, es
ist rein zum toll werden, mir wirbelt der Verstand,
wenn ich's denke, heute muß ich es erleben, daß der
Bastard mir durch meine eigenen Kinder über die
Schwelle gebracht wird. Mir ist nur wohl, seit sie
wieder aus dem Haus ist! Wenn sie sich nur nicht
irgendwo versteckt! dort liegt ja ihr Bündel noch;
wenn nur nicht der ganze Trupp hier in der Nähe
umherschleicht! Heiliger Gott! wenn sie mir das Haus
anzündeten, die Mordbrenner -- Auf, Kinder! mir
läuft es siedend über den Rücken, mir ahnet ein Un-
glück! Durchsucht jeden Winkel -- der Knecht soll den
Schultheiß wecken -- man soll Lärm machen im
Dorfe --"

"Um Gotteswillen, Vater, was denken Sie?"
riefen die Mädchen, "besinnen Sie sich doch! die Zi-

ſein ſiebentes Jahr. Da ſtrafte Gott den hart Ge-
züchtigten mit einem neuen Unglück. Das Kind ward
eines Tags vermißt, niemand begriff, wohin es gera-
then ſeyn konnte. Später fand man Urſache, zu glau-
ben, daß die verruchte Bande den Aufenthalt meines
Bruders entdeckt, und weil die Frau nicht mehr
zu ſtehlen war, ſich durch den Raub des Mädchens
an dem Vater gerächt habe. Sein halb Vermögen
ließ dieſer es ſich koſten, ſeinen Augapfel wieder an
ſich zu bekommen; vergebens, er mußte die Tochter
verloren geben, und nie vernahm man weiter etwas
von ihr. Und heute nun — es iſt ja unfaßlich, es
iſt rein zum toll werden, mir wirbelt der Verſtand,
wenn ich’s denke, heute muß ich es erleben, daß der
Baſtard mir durch meine eigenen Kinder über die
Schwelle gebracht wird. Mir iſt nur wohl, ſeit ſie
wieder aus dem Haus iſt! Wenn ſie ſich nur nicht
irgendwo verſteckt! dort liegt ja ihr Bündel noch;
wenn nur nicht der ganze Trupp hier in der Nähe
umherſchleicht! Heiliger Gott! wenn ſie mir das Haus
anzündeten, die Mordbrenner — Auf, Kinder! mir
läuft es ſiedend über den Rücken, mir ahnet ein Un-
glück! Durchſucht jeden Winkel — der Knecht ſoll den
Schultheiß wecken — man ſoll Lärm machen im
Dorfe —“

„Um Gotteswillen, Vater, was denken Sie?“
riefen die Mädchen, „beſinnen Sie ſich doch! die Zi-

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[318/0326] ſein ſiebentes Jahr. Da ſtrafte Gott den hart Ge- züchtigten mit einem neuen Unglück. Das Kind ward eines Tags vermißt, niemand begriff, wohin es gera- then ſeyn konnte. Später fand man Urſache, zu glau- ben, daß die verruchte Bande den Aufenthalt meines Bruders entdeckt, und weil die Frau nicht mehr zu ſtehlen war, ſich durch den Raub des Mädchens an dem Vater gerächt habe. Sein halb Vermögen ließ dieſer es ſich koſten, ſeinen Augapfel wieder an ſich zu bekommen; vergebens, er mußte die Tochter verloren geben, und nie vernahm man weiter etwas von ihr. Und heute nun — es iſt ja unfaßlich, es iſt rein zum toll werden, mir wirbelt der Verſtand, wenn ich’s denke, heute muß ich es erleben, daß der Baſtard mir durch meine eigenen Kinder über die Schwelle gebracht wird. Mir iſt nur wohl, ſeit ſie wieder aus dem Haus iſt! Wenn ſie ſich nur nicht irgendwo verſteckt! dort liegt ja ihr Bündel noch; wenn nur nicht der ganze Trupp hier in der Nähe umherſchleicht! Heiliger Gott! wenn ſie mir das Haus anzündeten, die Mordbrenner — Auf, Kinder! mir läuft es ſiedend über den Rücken, mir ahnet ein Un- glück! Durchſucht jeden Winkel — der Knecht ſoll den Schultheiß wecken — man ſoll Lärm machen im Dorfe —“ „Um Gotteswillen, Vater, was denken Sie?“ riefen die Mädchen, „beſinnen Sie ſich doch! die Zi-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/326>, abgerufen am 05.12.2024.