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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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lezten Beweis meiner Erkenntlichkeit um so leichter
verschmerzen machte. Er empfing mein immer an-
sehnliches Geschenk mit einer Miene von Stolz und
Freundlichkeit, erbot sich zu einem Ehrengeleite, was
ich aber ausschlug, und er versprach, meiner Bitte ge-
mäß, die Andern in meinem Namen zu grüßen, da
ich aus Schonung für Marwin einen allgemeinen
Abschied vermeiden wolle. Im Grunde aber unter-
ließ ich den Abschied aus Schonung für mich selber,
aus einem eigenen Schamgefühl, das mich nicht vor
den Menschen treten ließ, den ich um seine schönste
Hoffnung zu betrügen gedachte. Ich suchte mich da-
mit zu trösten, daß ich mir sagte, er werde um Nichts
beraubt, das er je besessen hätte oder jemals besitzen
könnte, denn Loskinens Herz war weit von ihm
entfernt.

In kurzer Zeit befand ich mich wieder allein und
in meinen ordentlichen Kleidern. Ich verfolgte zu
Pferde mit einem gleichfalls berittenen Begleiter aus
dem nächsten Dorfe einen Umweg nach G ***, wel-
chen, wie zu vermuthen war, der Hauptmann nicht
einschlug. Diese Vorsicht gebrauchte ich auf alle Fälle,
so wie ich ihm auch die Richtung meiner Reise falsch
angab.

In G. langt' ich bei Zeiten an und nahm mein
Absteigequartier gemäß dem Loskinen gegebenen
Worte. Was meine Absicht weiter fördern konnte
ward unverzüglich eingeleitet. Einige neue Kleidungs-

lezten Beweis meiner Erkenntlichkeit um ſo leichter
verſchmerzen machte. Er empfing mein immer an-
ſehnliches Geſchenk mit einer Miene von Stolz und
Freundlichkeit, erbot ſich zu einem Ehrengeleite, was
ich aber ausſchlug, und er verſprach, meiner Bitte ge-
mäß, die Andern in meinem Namen zu grüßen, da
ich aus Schonung für Marwin einen allgemeinen
Abſchied vermeiden wolle. Im Grunde aber unter-
ließ ich den Abſchied aus Schonung für mich ſelber,
aus einem eigenen Schamgefühl, das mich nicht vor
den Menſchen treten ließ, den ich um ſeine ſchönſte
Hoffnung zu betrügen gedachte. Ich ſuchte mich da-
mit zu tröſten, daß ich mir ſagte, er werde um Nichts
beraubt, das er je beſeſſen hätte oder jemals beſitzen
könnte, denn Loskinens Herz war weit von ihm
entfernt.

In kurzer Zeit befand ich mich wieder allein und
in meinen ordentlichen Kleidern. Ich verfolgte zu
Pferde mit einem gleichfalls berittenen Begleiter aus
dem nächſten Dorfe einen Umweg nach G ***, wel-
chen, wie zu vermuthen war, der Hauptmann nicht
einſchlug. Dieſe Vorſicht gebrauchte ich auf alle Fälle,
ſo wie ich ihm auch die Richtung meiner Reiſe falſch
angab.

In G. langt’ ich bei Zeiten an und nahm mein
Abſteigequartier gemäß dem Loskinen gegebenen
Worte. Was meine Abſicht weiter fördern konnte
ward unverzüglich eingeleitet. Einige neue Kleidungs-

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[314/0322] lezten Beweis meiner Erkenntlichkeit um ſo leichter verſchmerzen machte. Er empfing mein immer an- ſehnliches Geſchenk mit einer Miene von Stolz und Freundlichkeit, erbot ſich zu einem Ehrengeleite, was ich aber ausſchlug, und er verſprach, meiner Bitte ge- mäß, die Andern in meinem Namen zu grüßen, da ich aus Schonung für Marwin einen allgemeinen Abſchied vermeiden wolle. Im Grunde aber unter- ließ ich den Abſchied aus Schonung für mich ſelber, aus einem eigenen Schamgefühl, das mich nicht vor den Menſchen treten ließ, den ich um ſeine ſchönſte Hoffnung zu betrügen gedachte. Ich ſuchte mich da- mit zu tröſten, daß ich mir ſagte, er werde um Nichts beraubt, das er je beſeſſen hätte oder jemals beſitzen könnte, denn Loskinens Herz war weit von ihm entfernt. In kurzer Zeit befand ich mich wieder allein und in meinen ordentlichen Kleidern. Ich verfolgte zu Pferde mit einem gleichfalls berittenen Begleiter aus dem nächſten Dorfe einen Umweg nach G ***, wel- chen, wie zu vermuthen war, der Hauptmann nicht einſchlug. Dieſe Vorſicht gebrauchte ich auf alle Fälle, ſo wie ich ihm auch die Richtung meiner Reiſe falſch angab. In G. langt’ ich bei Zeiten an und nahm mein Abſteigequartier gemäß dem Loskinen gegebenen Worte. Was meine Abſicht weiter fördern konnte ward unverzüglich eingeleitet. Einige neue Kleidungs-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/322>, abgerufen am 05.12.2024.