lange ein Athem in mir seyn wird. Aber du mußt fort von uns, auch das hab' ich ihm zugesagt. Mach' es kurz, ich darf nicht lange ausbleiben. Küsse mich!"
"Muß ich fort," antwortete ich, durch das Groß- artige dieses Augenblicks fast über allen Affekt hin- ausgehoben, "muß ich fort, und ist es wahr daß du mich mehr liebest als Alles, so laß uns zusammen gehen."
Sie sah mich staunend an, dann schüttelte sie ge- dankenvoll das schöne Haupt.
"Loskine!" rief ich, "wolle nur, und was dir un- möglich scheint, soll gewiß möglich gemacht werden. Aber noch Eins zuvor beantworte mir: Kannst du Marwins Verlangen nicht gutwillig erfüllen? Kannst du nicht die Seinige werden?"
Sie schwieg. Ich that dieselbe Frage wieder, worauf sie ein bestimmtes: Nein! ausstieß. Mir fiel ein Berg vom Herzen und zugleich war mein Ent- schluß gefaßt. Mit Blitzesschnelle ordnete sich ein Plan in meinem Kopfe, dessen Unsicherheit ich freilich sogleich fühlte. Er lief darauf hinaus, daß ich nach meiner unverzüglichen Trennung von ihren Leuten allein bis G * * * vorausreisen wolle, dem Städtchen, wo sie, wie ich ja wußte, nächstens auch eintreffen würden. Dort solle sie sich alsdann von den Ihrigen verlieren, sich unter der Hand und mit kluger Art nach dem angesehensten Gasthaus erkundigen, wo ich mich unfehlbar bereits befinden und alle Anstalten zur
lange ein Athem in mir ſeyn wird. Aber du mußt fort von uns, auch das hab’ ich ihm zugeſagt. Mach’ es kurz, ich darf nicht lange ausbleiben. Küſſe mich!“
„Muß ich fort,“ antwortete ich, durch das Groß- artige dieſes Augenblicks faſt über allen Affekt hin- ausgehoben, „muß ich fort, und iſt es wahr daß du mich mehr liebeſt als Alles, ſo laß uns zuſammen gehen.“
Sie ſah mich ſtaunend an, dann ſchüttelte ſie ge- dankenvoll das ſchöne Haupt.
„Loskine!“ rief ich, „wolle nur, und was dir un- möglich ſcheint, ſoll gewiß möglich gemacht werden. Aber noch Eins zuvor beantworte mir: Kannſt du Marwins Verlangen nicht gutwillig erfüllen? Kannſt du nicht die Seinige werden?“
Sie ſchwieg. Ich that dieſelbe Frage wieder, worauf ſie ein beſtimmtes: Nein! ausſtieß. Mir fiel ein Berg vom Herzen und zugleich war mein Ent- ſchluß gefaßt. Mit Blitzesſchnelle ordnete ſich ein Plan in meinem Kopfe, deſſen Unſicherheit ich freilich ſogleich fühlte. Er lief darauf hinaus, daß ich nach meiner unverzüglichen Trennung von ihren Leuten allein bis G * * * vorausreiſen wolle, dem Städtchen, wo ſie, wie ich ja wußte, nächſtens auch eintreffen würden. Dort ſolle ſie ſich alsdann von den Ihrigen verlieren, ſich unter der Hand und mit kluger Art nach dem angeſehenſten Gaſthaus erkundigen, wo ich mich unfehlbar bereits befinden und alle Anſtalten zur
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lange ein Athem in mir ſeyn wird. Aber du mußt
fort von uns, auch das hab’ ich ihm zugeſagt. Mach’
es kurz, ich darf nicht lange ausbleiben. Küſſe mich!“
„Muß ich fort,“ antwortete ich, durch das Groß-
artige dieſes Augenblicks faſt über allen Affekt hin-
ausgehoben, „muß ich fort, und iſt es wahr daß du
mich mehr liebeſt als Alles, ſo laß uns zuſammen
gehen.“
Sie ſah mich ſtaunend an, dann ſchüttelte ſie ge-
dankenvoll das ſchöne Haupt.
„Loskine!“ rief ich, „wolle nur, und was dir un-
möglich ſcheint, ſoll gewiß möglich gemacht werden.
Aber noch Eins zuvor beantworte mir: Kannſt du
Marwins Verlangen nicht gutwillig erfüllen? Kannſt
du nicht die Seinige werden?“
Sie ſchwieg. Ich that dieſelbe Frage wieder,
worauf ſie ein beſtimmtes: Nein! ausſtieß. Mir fiel
ein Berg vom Herzen und zugleich war mein Ent-
ſchluß gefaßt. Mit Blitzesſchnelle ordnete ſich ein
Plan in meinem Kopfe, deſſen Unſicherheit ich freilich
ſogleich fühlte. Er lief darauf hinaus, daß ich nach
meiner unverzüglichen Trennung von ihren Leuten
allein bis G * * * vorausreiſen wolle, dem Städtchen,
wo ſie, wie ich ja wußte, nächſtens auch eintreffen
würden. Dort ſolle ſie ſich alsdann von den Ihrigen
verlieren, ſich unter der Hand und mit kluger Art
nach dem angeſehenſten Gaſthaus erkundigen, wo ich
mich unfehlbar bereits befinden und alle Anſtalten zur
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/320>, abgerufen am 27.07.2024.
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