den, allein ich scheue mich fast vor Marwin, so heißt jener Mensch, und bin schon daran gewöhnt, vorzüglich nur die Gelegenheit zu benützen, wann er eben auf Rekognoszirung oder sonst in einem Geschäft ausgeschickt wird, was häufig vorkommt. Ich habe ihr schon manche kleine Geschenke gekauft, deren Absichtlichkeit ich durch ähnliche Gaben an die Andern zu bemänteln weiß. -- Aber, mein Gott! was will ich denn eigentlich? Noch treffe ich nicht die Spur eines Gedankens an die Umkehr bei mir an. Vorgestern schrieb ich, unter einem nicht sehr wahr- scheinlichen Vorwand und ohne das Geringste von mei- nem jetzigen Leben verlauten zu lassen, an Freund S., er möchte mir meine ganze Baarschaft nach dem Städt- chen G * * * senden, wo wir, wie der Hauptmann sagt, in vier Tagen zur Marktzeit eintreffen werden. Dieser Marsch bringt mich dem Orte, von dem ich ausgegan- gen, wieder um fünf Meilen näher. Aber doch welche Entfernung immer noch! Gut, daß ich in diesen Ge- genden nicht fürchten muß, auf irgend ein bekanntes Gesicht zu stoßen, wofern ich anders in meinem gegen- wärtigen Zustand noch kenntlich wäre. Ich habe meinem Anzug durch einige geborgte Kleidungsstücke ein etwas freieres Wesen gegeben, um mich meinen Gesellen ei- nigermaßen zu konformiren. Eine violett und rothe Zipfelmütze auf dem Kopf, ein breiter Gürtel um den Leib thut wahrlich schon viel.
26. Mai. Einen artigen Auftritt hat es gegeben. Wir raste-
den, allein ich ſcheue mich faſt vor Marwin, ſo heißt jener Menſch, und bin ſchon daran gewöhnt, vorzüglich nur die Gelegenheit zu benützen, wann er eben auf Rekognoszirung oder ſonſt in einem Geſchäft ausgeſchickt wird, was häufig vorkommt. Ich habe ihr ſchon manche kleine Geſchenke gekauft, deren Abſichtlichkeit ich durch ähnliche Gaben an die Andern zu bemänteln weiß. — Aber, mein Gott! was will ich denn eigentlich? Noch treffe ich nicht die Spur eines Gedankens an die Umkehr bei mir an. Vorgeſtern ſchrieb ich, unter einem nicht ſehr wahr- ſcheinlichen Vorwand und ohne das Geringſte von mei- nem jetzigen Leben verlauten zu laſſen, an Freund S., er möchte mir meine ganze Baarſchaft nach dem Städt- chen G * * * ſenden, wo wir, wie der Hauptmann ſagt, in vier Tagen zur Marktzeit eintreffen werden. Dieſer Marſch bringt mich dem Orte, von dem ich ausgegan- gen, wieder um fünf Meilen näher. Aber doch welche Entfernung immer noch! Gut, daß ich in dieſen Ge- genden nicht fürchten muß, auf irgend ein bekanntes Geſicht zu ſtoßen, wofern ich anders in meinem gegen- wärtigen Zuſtand noch kenntlich wäre. Ich habe meinem Anzug durch einige geborgte Kleidungsſtücke ein etwas freieres Weſen gegeben, um mich meinen Geſellen ei- nigermaßen zu konformiren. Eine violett und rothe Zipfelmütze auf dem Kopf, ein breiter Gürtel um den Leib thut wahrlich ſchon viel.
26. Mai. Einen artigen Auftritt hat es gegeben. Wir raſte-
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den, allein ich ſcheue mich faſt vor Marwin, ſo heißt
jener Menſch, und bin ſchon daran gewöhnt, vorzüglich
nur die Gelegenheit zu benützen, wann er eben auf
Rekognoszirung oder ſonſt in einem Geſchäft ausgeſchickt
wird, was häufig vorkommt. Ich habe ihr ſchon manche
kleine Geſchenke gekauft, deren Abſichtlichkeit ich durch
ähnliche Gaben an die Andern zu bemänteln weiß. — Aber,
mein Gott! was will ich denn eigentlich? Noch treffe
ich nicht die Spur eines Gedankens an die Umkehr bei mir
an. Vorgeſtern ſchrieb ich, unter einem nicht ſehr wahr-
ſcheinlichen Vorwand und ohne das Geringſte von mei-
nem jetzigen Leben verlauten zu laſſen, an Freund S.,
er möchte mir meine ganze Baarſchaft nach dem Städt-
chen G * * * ſenden, wo wir, wie der Hauptmann ſagt,
in vier Tagen zur Marktzeit eintreffen werden. Dieſer
Marſch bringt mich dem Orte, von dem ich ausgegan-
gen, wieder um fünf Meilen näher. Aber doch welche
Entfernung immer noch! Gut, daß ich in dieſen Ge-
genden nicht fürchten muß, auf irgend ein bekanntes
Geſicht zu ſtoßen, wofern ich anders in meinem gegen-
wärtigen Zuſtand noch kenntlich wäre. Ich habe meinem
Anzug durch einige geborgte Kleidungsſtücke ein etwas
freieres Weſen gegeben, um mich meinen Geſellen ei-
nigermaßen zu konformiren. Eine violett und rothe
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/315>, abgerufen am 30.01.2025.
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