Bruders für jezt schlechterdings vergeblich wäre, nur darauf bedacht, unter mißlichen Umständen wenigstens größeres Unheil zu verhüten. Theobalds körperli- cher Zustand, der nach einer unnatürlichen Anspannung eine gefährliche Schwäche befürchten ließ, war das Nächste, was sie beunruhigte, und ihr Vorschlag, man wolle den benachbarten Rittmeister um sein Gefährt ansprechen, fand bei dem Bruder nur insoferne Wider- spruch, als Elisabeth ihrer Seits darauf beharrte, den Weg zu Fuße zu machen. Johann, welcher in- zwischen treulich gewartet hatte, ward jedoch mit den geeigneten Aufträgen nach dem nächsten Hofe zu dem alten Herrn Rittmeister, einem guten Bekannten des Pfarrers, abgeschickt. Während einer peinlichen halben Stunde des Wartens fand Adelheid Veranlassung, den Gegenstand ihres Unmuths und ihres Mißtrauens von einer wenigstens unschuldigen Seite kennen zu lernen. Elisabeth äußerte auf die unzweideutigste Weise eine fast kindliche Reue darüber, daß sie sich von ihrer Bande weggestohlen, wo man sie nun recht mit Sorgen vermisse, wo ihr nie ein Leid geschehen sey, wo sie, so oft sie krank gewesen, immer guten Trost und geschickte Pflege bei gar muntern und redlichen Leuten gefunden habe. Bei dem Wörtchen "krank" legte sie mit einer traurig lächerlichen Grimasse den Zeigefinger an die Stirn, und gab auf diese Art ganz unverholen ein freiwilliges Bekenntniß dessen, was Adelheid An- fangs gefürchtet hatte. Aber sie fügte sogar noch den
Bruders für jezt ſchlechterdings vergeblich wäre, nur darauf bedacht, unter mißlichen Umſtänden wenigſtens größeres Unheil zu verhüten. Theobalds körperli- cher Zuſtand, der nach einer unnatürlichen Anſpannung eine gefährliche Schwäche befürchten ließ, war das Nächſte, was ſie beunruhigte, und ihr Vorſchlag, man wolle den benachbarten Rittmeiſter um ſein Gefährt anſprechen, fand bei dem Bruder nur inſoferne Wider- ſpruch, als Eliſabeth ihrer Seits darauf beharrte, den Weg zu Fuße zu machen. Johann, welcher in- zwiſchen treulich gewartet hatte, ward jedoch mit den geeigneten Aufträgen nach dem nächſten Hofe zu dem alten Herrn Rittmeiſter, einem guten Bekannten des Pfarrers, abgeſchickt. Während einer peinlichen halben Stunde des Wartens fand Adelheid Veranlaſſung, den Gegenſtand ihres Unmuths und ihres Mißtrauens von einer wenigſtens unſchuldigen Seite kennen zu lernen. Eliſabeth äußerte auf die unzweideutigſte Weiſe eine faſt kindliche Reue darüber, daß ſie ſich von ihrer Bande weggeſtohlen, wo man ſie nun recht mit Sorgen vermiſſe, wo ihr nie ein Leid geſchehen ſey, wo ſie, ſo oft ſie krank geweſen, immer guten Troſt und geſchickte Pflege bei gar muntern und redlichen Leuten gefunden habe. Bei dem Wörtchen „krank“ legte ſie mit einer traurig lächerlichen Grimaſſe den Zeigefinger an die Stirn, und gab auf dieſe Art ganz unverholen ein freiwilliges Bekenntniß deſſen, was Adelheid An- fangs gefürchtet hatte. Aber ſie fügte ſogar noch den
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Bruders für jezt ſchlechterdings vergeblich wäre, nur
darauf bedacht, unter mißlichen Umſtänden wenigſtens
größeres Unheil zu verhüten. Theobalds körperli-
cher Zuſtand, der nach einer unnatürlichen Anſpannung
eine gefährliche Schwäche befürchten ließ, war das
Nächſte, was ſie beunruhigte, und ihr Vorſchlag, man
wolle den benachbarten Rittmeiſter um ſein Gefährt
anſprechen, fand bei dem Bruder nur inſoferne Wider-
ſpruch, als Eliſabeth ihrer Seits darauf beharrte,
den Weg zu Fuße zu machen. Johann, welcher in-
zwiſchen treulich gewartet hatte, ward jedoch mit den
geeigneten Aufträgen nach dem nächſten Hofe zu dem
alten Herrn Rittmeiſter, einem guten Bekannten des
Pfarrers, abgeſchickt. Während einer peinlichen halben
Stunde des Wartens fand Adelheid Veranlaſſung,
den Gegenſtand ihres Unmuths und ihres Mißtrauens
von einer wenigſtens unſchuldigen Seite kennen zu
lernen. Eliſabeth äußerte auf die unzweideutigſte
Weiſe eine faſt kindliche Reue darüber, daß ſie ſich von
ihrer Bande weggeſtohlen, wo man ſie nun recht mit
Sorgen vermiſſe, wo ihr nie ein Leid geſchehen ſey, wo
ſie, ſo oft ſie krank geweſen, immer guten Troſt und
geſchickte Pflege bei gar muntern und redlichen Leuten
gefunden habe. Bei dem Wörtchen „krank“ legte ſie
mit einer traurig lächerlichen Grimaſſe den Zeigefinger
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/299>, abgerufen am 25.11.2024.
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