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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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wie sie sich ausdrückte. Als aber nach wiederholten
Versuchen die Augen des Bruders geschlossen blieben
und Adelheid untröstlich davon gehen wollte, ver-
wies ihr die Zigeunerin das Benehmen durch einen
unwiderstehlich Ruhe gebietenden Wink, so daß das
Mädchen unbeweglich und gleichsam gelähmt nur von
der Seite zusah, wie die seltsame Tochter des Waldes
ihre flache Hand auf die Stirne des Kranken legte und
ihr Haupt mit leisem Flüstern gegen sein Gesicht herun-
tersenkte. Dieser stumme Akt dauerte mehrere Minu-
ten, ohne daß Eines von den Dreien sich rührte. Siehe,
da erhub sich weit und helle der Blick des Knaben und
blieb lange fest, aber wie bewußtlos, an den zwei dun-
keln Sternen geheftet, welche ihm in dichter Nähe be-
gegneten. Und als er sich wieder geschlossen, um bald
sich auf's Neue zu öffnen und nun er klar erwachte, da
begegnete ihm ein blaues Auge statt des schwarzen; er
sah die Freudethränen der Schwester. Die Unbekannte
stand seitwärts, er konnte sie nicht sogleich bemerken,
aber er richtete sich auf und lächelte befriedigt, da er
sie gefunden. Es trat nun einige Heiterkeit überhaupt
auf die Gesichter, und Theobald erholte sich mehr
mit jedem Athemzug.

Indeß Adelheid nach dem innersten Hofraum
der Burg eilte, wo die Reisetasche lag, um Wein für
den Bruder herbeizuholen, entspann sich zwischen den
Zurückgebliebenen ein sonderbares Gespräch. Theo-
bald
nämlich begann nach einigem Stillschweigen mit

wie ſie ſich ausdrückte. Als aber nach wiederholten
Verſuchen die Augen des Bruders geſchloſſen blieben
und Adelheid untröſtlich davon gehen wollte, ver-
wies ihr die Zigeunerin das Benehmen durch einen
unwiderſtehlich Ruhe gebietenden Wink, ſo daß das
Mädchen unbeweglich und gleichſam gelähmt nur von
der Seite zuſah, wie die ſeltſame Tochter des Waldes
ihre flache Hand auf die Stirne des Kranken legte und
ihr Haupt mit leiſem Flüſtern gegen ſein Geſicht herun-
terſenkte. Dieſer ſtumme Akt dauerte mehrere Minu-
ten, ohne daß Eines von den Dreien ſich rührte. Siehe,
da erhub ſich weit und helle der Blick des Knaben und
blieb lange feſt, aber wie bewußtlos, an den zwei dun-
keln Sternen geheftet, welche ihm in dichter Nähe be-
gegneten. Und als er ſich wieder geſchloſſen, um bald
ſich auf’s Neue zu öffnen und nun er klar erwachte, da
begegnete ihm ein blaues Auge ſtatt des ſchwarzen; er
ſah die Freudethränen der Schweſter. Die Unbekannte
ſtand ſeitwärts, er konnte ſie nicht ſogleich bemerken,
aber er richtete ſich auf und lächelte befriedigt, da er
ſie gefunden. Es trat nun einige Heiterkeit überhaupt
auf die Geſichter, und Theobald erholte ſich mehr
mit jedem Athemzug.

Indeß Adelheid nach dem innerſten Hofraum
der Burg eilte, wo die Reiſetaſche lag, um Wein für
den Bruder herbeizuholen, entſpann ſich zwiſchen den
Zurückgebliebenen ein ſonderbares Geſpräch. Theo-
bald
nämlich begann nach einigem Stillſchweigen mit

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[286/0294] wie ſie ſich ausdrückte. Als aber nach wiederholten Verſuchen die Augen des Bruders geſchloſſen blieben und Adelheid untröſtlich davon gehen wollte, ver- wies ihr die Zigeunerin das Benehmen durch einen unwiderſtehlich Ruhe gebietenden Wink, ſo daß das Mädchen unbeweglich und gleichſam gelähmt nur von der Seite zuſah, wie die ſeltſame Tochter des Waldes ihre flache Hand auf die Stirne des Kranken legte und ihr Haupt mit leiſem Flüſtern gegen ſein Geſicht herun- terſenkte. Dieſer ſtumme Akt dauerte mehrere Minu- ten, ohne daß Eines von den Dreien ſich rührte. Siehe, da erhub ſich weit und helle der Blick des Knaben und blieb lange feſt, aber wie bewußtlos, an den zwei dun- keln Sternen geheftet, welche ihm in dichter Nähe be- gegneten. Und als er ſich wieder geſchloſſen, um bald ſich auf’s Neue zu öffnen und nun er klar erwachte, da begegnete ihm ein blaues Auge ſtatt des ſchwarzen; er ſah die Freudethränen der Schweſter. Die Unbekannte ſtand ſeitwärts, er konnte ſie nicht ſogleich bemerken, aber er richtete ſich auf und lächelte befriedigt, da er ſie gefunden. Es trat nun einige Heiterkeit überhaupt auf die Geſichter, und Theobald erholte ſich mehr mit jedem Athemzug. Indeß Adelheid nach dem innerſten Hofraum der Burg eilte, wo die Reiſetaſche lag, um Wein für den Bruder herbeizuholen, entſpann ſich zwiſchen den Zurückgebliebenen ein ſonderbares Geſpräch. Theo- bald nämlich begann nach einigem Stillſchweigen mit

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/294>, abgerufen am 25.11.2024.