An demselben Morgen bekam Larkens, da er kaum das Bett verlassen hatte, von Leopold, dem Bildhauer, einen Besuch, der eigentlich Theobalden bestimmt war; auf die Nachricht vom Pförtner je- doch, daß der Kranke nach einer erträglichen Nacht so eben noch ruhig schlummere, wagte der Freund keine Störung und ließ sich das Zimmer des Schauspielers aufschließen. Er fand den Leztern in der traurigsten Stimmung, worein ihn die Sorge um Nolten ver- sezte, und Leopold, gleichfalls heftig bewegt, hatte Mühe, ihn zu trösten.
Nach einiger Zeit fing der Bildhauer an: "Nun muß ich Ihnen eine Eröffnung machen, die freilich zunächst für Nolten gehörte, sie betrifft einen Vorfall, womit ich mich schon drei Tage herumtrage, ohne daß ich Gelegenheit erhalten konnte, ihn einem oder dem andern von Ihnen mitzutheilen; denn der Obrist schlug mir die Bitte zweimal ab, zumal da der Arzt den Kranken so wenig als möglich durch Gesellschaft beun- ruhigt wissen will; gestern bekam ich mit Noth auf eine Stunde Erlaubniß; die Angst um Nolten und, ich darf wohl sagen, auch meine Neuigkeit ließ mir nicht Rast noch Ruhe mehr. Das was ich mitzuthei- len habe, ist unerhört, ist ganz unbegreiflich, für Nol- ten taugt es unter gegenwärtigen Umständen auf kei- nen Fall."
"Nun, nur um Gotteswillen kein Unglück!" sagte der Schauspieler verdrießlich lächelnd über den langen
An demſelben Morgen bekam Larkens, da er kaum das Bett verlaſſen hatte, von Leopold, dem Bildhauer, einen Beſuch, der eigentlich Theobalden beſtimmt war; auf die Nachricht vom Pförtner je- doch, daß der Kranke nach einer erträglichen Nacht ſo eben noch ruhig ſchlummere, wagte der Freund keine Störung und ließ ſich das Zimmer des Schauſpielers aufſchließen. Er fand den Leztern in der traurigſten Stimmung, worein ihn die Sorge um Nolten ver- ſezte, und Leopold, gleichfalls heftig bewegt, hatte Mühe, ihn zu tröſten.
Nach einiger Zeit fing der Bildhauer an: „Nun muß ich Ihnen eine Eröffnung machen, die freilich zunächſt für Nolten gehörte, ſie betrifft einen Vorfall, womit ich mich ſchon drei Tage herumtrage, ohne daß ich Gelegenheit erhalten konnte, ihn einem oder dem andern von Ihnen mitzutheilen; denn der Obriſt ſchlug mir die Bitte zweimal ab, zumal da der Arzt den Kranken ſo wenig als möglich durch Geſellſchaft beun- ruhigt wiſſen will; geſtern bekam ich mit Noth auf eine Stunde Erlaubniß; die Angſt um Nolten und, ich darf wohl ſagen, auch meine Neuigkeit ließ mir nicht Raſt noch Ruhe mehr. Das was ich mitzuthei- len habe, iſt unerhört, iſt ganz unbegreiflich, für Nol- ten taugt es unter gegenwärtigen Umſtänden auf kei- nen Fall.“
„Nun, nur um Gotteswillen kein Unglück!“ ſagte der Schauſpieler verdrießlich lächelnd über den langen
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An demſelben Morgen bekam Larkens, da er
kaum das Bett verlaſſen hatte, von Leopold, dem
Bildhauer, einen Beſuch, der eigentlich Theobalden
beſtimmt war; auf die Nachricht vom Pförtner je-
doch, daß der Kranke nach einer erträglichen Nacht ſo
eben noch ruhig ſchlummere, wagte der Freund keine
Störung und ließ ſich das Zimmer des Schauſpielers
aufſchließen. Er fand den Leztern in der traurigſten
Stimmung, worein ihn die Sorge um Nolten ver-
ſezte, und Leopold, gleichfalls heftig bewegt, hatte
Mühe, ihn zu tröſten.
Nach einiger Zeit fing der Bildhauer an: „Nun
muß ich Ihnen eine Eröffnung machen, die freilich
zunächſt für Nolten gehörte, ſie betrifft einen Vorfall,
womit ich mich ſchon drei Tage herumtrage, ohne daß
ich Gelegenheit erhalten konnte, ihn einem oder dem
andern von Ihnen mitzutheilen; denn der Obriſt ſchlug
mir die Bitte zweimal ab, zumal da der Arzt den
Kranken ſo wenig als möglich durch Geſellſchaft beun-
ruhigt wiſſen will; geſtern bekam ich mit Noth auf
eine Stunde Erlaubniß; die Angſt um Nolten und,
ich darf wohl ſagen, auch meine Neuigkeit ließ mir
nicht Raſt noch Ruhe mehr. Das was ich mitzuthei-
len habe, iſt unerhört, iſt ganz unbegreiflich, für Nol-
ten taugt es unter gegenwärtigen Umſtänden auf kei-
nen Fall.“
„Nun, nur um Gotteswillen kein Unglück!“ ſagte
der Schauſpieler verdrießlich lächelnd über den langen
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/275>, abgerufen am 25.11.2024.
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