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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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so vieler Stimmen immer leiser und matter im Ohre
summt, so geschieht es wohl, daß plötzlich ein zuver-
sichtliches, fröhliches Licht in unserm Innern aufsteigt,
und mit Heiterkeit sagen wir uns, es ist ja nicht mög-
lich, daß dieß Alles wirklich mit mir geschieht, ungeheu-
rer Schein und Lüge ist es! Wir fühlen uns mit
Händen an, wir erwarten, daß jeden Augenblick der
Nebel zerreisse, der uns umwickelt. Aber diese Mau-
ern, diese sorgsam verriegelte Thür wiesen dem armen
Maler mit frecher Miene ihr festes unbezwingliches
Daseyn. Erschüttert, mit lautem Seufzen ließ er sich
auf den nächsten Stuhl nieder, ohne einmal an das
Fenster zu treten, das ihm eine weite Aussicht in's
Freie und seitwärts einen kleinen Theil der Stadt
freundlich und tröstlich hätte zeigen können. In der
That hatte das Zimmer eine angenehme Lage, in dem
obersten Theil des ohnehin hochgelegenen, alterthümli-
chen, hie und da noch befestigten Gebäudes. Dieser
Eine Flügel war, die Wohnung des Kommandanten
und des Wärters ausgenommen, ganz unbewohnt, von
einer andern Seite, wo Garnison lag, tönte zuweilen
ein munterer militärischer Klang, Trommel und Musik
nicht allzu geräuschvoll. Auch die nächsten Umgebun-
gen Theobalds nahmen sich eben nicht sehr düster
aus, die Wände rein geweißt und trocken, die Eisen-
stäbe vor den Fenstern weit genug, um nichts zu ver-
dunkeln, die Heizung regelmäßig, so weit die herankom-
mende Frühlingszeit sie nicht gar entbehr[e] ich machte.

ſo vieler Stimmen immer leiſer und matter im Ohre
ſummt, ſo geſchieht es wohl, daß plötzlich ein zuver-
ſichtliches, fröhliches Licht in unſerm Innern aufſteigt,
und mit Heiterkeit ſagen wir uns, es iſt ja nicht mög-
lich, daß dieß Alles wirklich mit mir geſchieht, ungeheu-
rer Schein und Lüge iſt es! Wir fühlen uns mit
Händen an, wir erwarten, daß jeden Augenblick der
Nebel zerreiſſe, der uns umwickelt. Aber dieſe Mau-
ern, dieſe ſorgſam verriegelte Thür wieſen dem armen
Maler mit frecher Miene ihr feſtes unbezwingliches
Daſeyn. Erſchüttert, mit lautem Seufzen ließ er ſich
auf den nächſten Stuhl nieder, ohne einmal an das
Fenſter zu treten, das ihm eine weite Ausſicht in’s
Freie und ſeitwärts einen kleinen Theil der Stadt
freundlich und tröſtlich hätte zeigen können. In der
That hatte das Zimmer eine angenehme Lage, in dem
oberſten Theil des ohnehin hochgelegenen, alterthümli-
chen, hie und da noch befeſtigten Gebäudes. Dieſer
Eine Flügel war, die Wohnung des Kommandanten
und des Wärters ausgenommen, ganz unbewohnt, von
einer andern Seite, wo Garniſon lag, tönte zuweilen
ein munterer militäriſcher Klang, Trommel und Muſik
nicht allzu geräuſchvoll. Auch die nächſten Umgebun-
gen Theobalds nahmen ſich eben nicht ſehr düſter
aus, die Wände rein geweißt und trocken, die Eiſen-
ſtäbe vor den Fenſtern weit genug, um nichts zu ver-
dunkeln, die Heizung regelmäßig, ſo weit die herankom-
mende Frühlingszeit ſie nicht gar entbehr[e] ich machte.

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[253/0261] ſo vieler Stimmen immer leiſer und matter im Ohre ſummt, ſo geſchieht es wohl, daß plötzlich ein zuver- ſichtliches, fröhliches Licht in unſerm Innern aufſteigt, und mit Heiterkeit ſagen wir uns, es iſt ja nicht mög- lich, daß dieß Alles wirklich mit mir geſchieht, ungeheu- rer Schein und Lüge iſt es! Wir fühlen uns mit Händen an, wir erwarten, daß jeden Augenblick der Nebel zerreiſſe, der uns umwickelt. Aber dieſe Mau- ern, dieſe ſorgſam verriegelte Thür wieſen dem armen Maler mit frecher Miene ihr feſtes unbezwingliches Daſeyn. Erſchüttert, mit lautem Seufzen ließ er ſich auf den nächſten Stuhl nieder, ohne einmal an das Fenſter zu treten, das ihm eine weite Ausſicht in’s Freie und ſeitwärts einen kleinen Theil der Stadt freundlich und tröſtlich hätte zeigen können. In der That hatte das Zimmer eine angenehme Lage, in dem oberſten Theil des ohnehin hochgelegenen, alterthümli- chen, hie und da noch befeſtigten Gebäudes. Dieſer Eine Flügel war, die Wohnung des Kommandanten und des Wärters ausgenommen, ganz unbewohnt, von einer andern Seite, wo Garniſon lag, tönte zuweilen ein munterer militäriſcher Klang, Trommel und Muſik nicht allzu geräuſchvoll. Auch die nächſten Umgebun- gen Theobalds nahmen ſich eben nicht ſehr düſter aus, die Wände rein geweißt und trocken, die Eiſen- ſtäbe vor den Fenſtern weit genug, um nichts zu ver- dunkeln, die Heizung regelmäßig, ſo weit die herankom- mende Frühlingszeit ſie nicht gar entbehre ich machte.

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/261>, abgerufen am 25.11.2024.