Entscheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenstan- des überließ, so kam er wirklich mit einer doppelten Pflicht in's Gedränge, er hätte eben so gerne den Maler geschont als dem Bruder Genüge gethan; da- her denn auch jene Anfrage bei Constanze nichts we- niger als bloße Pantomime war; er dachte sie bei dieser Gelegenheit ein wenig zu schrauben, fand aber ein solches Frauen-Orakel wirklich bequem für seine Unschlüssigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die Geschichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge- gen Viktorie den eigentlichen Grund des Aergernis- ses verstecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu müssen.
Constanze blickte noch immer ernst vor sich nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur die edelste Theilnahme an dem Schicksale zweier Haus- freunde zu lesen glaubte; ihr ganzes Wesen, von die- sem Kummer leicht beschattet, däuchte ihm nie fo rei- zend, so weich gewesen zu seyn. Er sezte sich an ihre Seite und gab dem Gespräch eine andere Richtung, sie ging so viel möglich darauf ein, und der Zwang, den sie sich mitunter dabei anthat, machte sie nur immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderstehlicher. Dazu kam die einladende Ruhe dieser Stunde, von zweien auf dem Tische brennenden Kerzen traulich ver- klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die Hand seiner schweigsamen Nebensitzerin, er ließ die
16
Entſcheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenſtan- des überließ, ſo kam er wirklich mit einer doppelten Pflicht in’s Gedränge, er hätte eben ſo gerne den Maler geſchont als dem Bruder Genüge gethan; da- her denn auch jene Anfrage bei Conſtanze nichts we- niger als bloße Pantomime war; er dachte ſie bei dieſer Gelegenheit ein wenig zu ſchrauben, fand aber ein ſolches Frauen-Orakel wirklich bequem für ſeine Unſchlüſſigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die Geſchichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge- gen Viktorie den eigentlichen Grund des Aergerniſ- ſes verſtecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu müſſen.
Conſtanze blickte noch immer ernſt vor ſich nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur die edelſte Theilnahme an dem Schickſale zweier Haus- freunde zu leſen glaubte; ihr ganzes Weſen, von die- ſem Kummer leicht beſchattet, däuchte ihm nie fo rei- zend, ſo weich geweſen zu ſeyn. Er ſezte ſich an ihre Seite und gab dem Geſpräch eine andere Richtung, ſie ging ſo viel möglich darauf ein, und der Zwang, den ſie ſich mitunter dabei anthat, machte ſie nur immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderſtehlicher. Dazu kam die einladende Ruhe dieſer Stunde, von zweien auf dem Tiſche brennenden Kerzen traulich ver- klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die Hand ſeiner ſchweigſamen Nebenſitzerin, er ließ die
16
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0249"n="241"/>
Entſcheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenſtan-<lb/>
des überließ, ſo kam er wirklich mit einer doppelten<lb/>
Pflicht in’s Gedränge, er hätte eben ſo gerne den<lb/>
Maler geſchont als dem Bruder Genüge gethan; da-<lb/>
her denn auch jene Anfrage bei <hirendition="#g">Conſtanze</hi> nichts we-<lb/>
niger als bloße Pantomime war; er dachte ſie bei<lb/>
dieſer Gelegenheit ein wenig zu ſchrauben, fand aber<lb/>
ein ſolches Frauen-Orakel wirklich bequem für ſeine<lb/>
Unſchlüſſigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die<lb/>
Geſchichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge-<lb/>
gen <hirendition="#g">Viktorie</hi> den eigentlichen Grund des Aergerniſ-<lb/>ſes verſtecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu<lb/>
müſſen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Conſtanze</hi> blickte noch immer ernſt vor ſich<lb/>
nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog<lb/>
rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur<lb/>
die edelſte Theilnahme an dem Schickſale zweier Haus-<lb/>
freunde zu leſen glaubte; ihr ganzes Weſen, von die-<lb/>ſem Kummer leicht beſchattet, däuchte ihm nie fo rei-<lb/>
zend, ſo weich geweſen zu ſeyn. Er ſezte ſich an ihre<lb/>
Seite und gab dem Geſpräch eine andere Richtung,<lb/>ſie ging ſo viel möglich darauf ein, und der Zwang,<lb/>
den ſie ſich mitunter dabei anthat, machte ſie nur<lb/>
immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderſtehlicher.<lb/>
Dazu kam die einladende Ruhe dieſer Stunde, von<lb/>
zweien auf dem Tiſche brennenden Kerzen traulich ver-<lb/>
klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die<lb/>
Hand ſeiner ſchweigſamen Nebenſitzerin, er ließ die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">16</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[241/0249]
Entſcheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenſtan-
des überließ, ſo kam er wirklich mit einer doppelten
Pflicht in’s Gedränge, er hätte eben ſo gerne den
Maler geſchont als dem Bruder Genüge gethan; da-
her denn auch jene Anfrage bei Conſtanze nichts we-
niger als bloße Pantomime war; er dachte ſie bei
dieſer Gelegenheit ein wenig zu ſchrauben, fand aber
ein ſolches Frauen-Orakel wirklich bequem für ſeine
Unſchlüſſigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die
Geſchichte Rumor machen könnte, aus Diskretion ge-
gen Viktorie den eigentlichen Grund des Aergerniſ-
ſes verſtecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu
müſſen.
Conſtanze blickte noch immer ernſt vor ſich
nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog
rührte ihr Anblick, worin er von jezt an wirklich nur
die edelſte Theilnahme an dem Schickſale zweier Haus-
freunde zu leſen glaubte; ihr ganzes Weſen, von die-
ſem Kummer leicht beſchattet, däuchte ihm nie fo rei-
zend, ſo weich geweſen zu ſeyn. Er ſezte ſich an ihre
Seite und gab dem Geſpräch eine andere Richtung,
ſie ging ſo viel möglich darauf ein, und der Zwang,
den ſie ſich mitunter dabei anthat, machte ſie nur
immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderſtehlicher.
Dazu kam die einladende Ruhe dieſer Stunde, von
zweien auf dem Tiſche brennenden Kerzen traulich ver-
klärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die
Hand ſeiner ſchweigſamen Nebenſitzerin, er ließ die
16
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/249>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.