glaublichen Veränderung schuldig gemacht, was würde das Constanzen helfen? was hätte sie von einem solchen Manne zu gewarten? wie möchte sie ein an- deres Geschöpf um seine theuersten Hoffnungen be- stehlen? und ein Geschöpf, das sie wirklich nicht hassen konnte, das Allem nach das rührendste Bild der Un- schuld, der hingebenden Liebe ist? ja, wie konnte ihr die heißeste Liebe Theobalds nur im Entfernten noch schmeicheln, wenn diese der sündige Raub an einem fremden guten Wesen wäre?
Aber noch immer war ja die Frage nicht über- wunden, wie nur Nolten eines so beispiellosen Be- trugs fähig seyn konnte?
Constanzens Auge stand weit, groß, nachden- kend in einen Winkel des Zimmers gerichtet, während ihr Geist sich nach und nach den unglückseligen Gedan- ken zurecht arbeitete: es könne denn doch wohl einen Menschen geben, der aus Schwäche, frevelhafter Selbst- sucht und gelegentlich aus einem Rest ursprünglicher Gutmüthigkeit zusammengesezt, vor Andern, wie zum Theil auch vor sich selber, einen Schein von Vortreff- lichkeit zu erhalten und vor dem eigenen Gewissen jede Unthat zu rechtfertigen wisse, es lasse sich ein Grad von Verstellung denken, der alle gewöhnlichen Begriffe übersteige. Der genaue Umgang Theobalds mit Larkens, so wenig sie dem Leztern bis jezt mißtraut hatte, konnte sie nun, wenn sie sich der Meinungen Anderer erinnerte, in ihrem Urtheile nur bestärken,
glaublichen Veränderung ſchuldig gemacht, was würde das Conſtanzen helfen? was hätte ſie von einem ſolchen Manne zu gewarten? wie möchte ſie ein an- deres Geſchöpf um ſeine theuerſten Hoffnungen be- ſtehlen? und ein Geſchöpf, das ſie wirklich nicht haſſen konnte, das Allem nach das rührendſte Bild der Un- ſchuld, der hingebenden Liebe iſt? ja, wie konnte ihr die heißeſte Liebe Theobalds nur im Entfernten noch ſchmeicheln, wenn dieſe der ſündige Raub an einem fremden guten Weſen wäre?
Aber noch immer war ja die Frage nicht über- wunden, wie nur Nolten eines ſo beiſpielloſen Be- trugs fähig ſeyn konnte?
Conſtanzens Auge ſtand weit, groß, nachden- kend in einen Winkel des Zimmers gerichtet, während ihr Geiſt ſich nach und nach den unglückſeligen Gedan- ken zurecht arbeitete: es könne denn doch wohl einen Menſchen geben, der aus Schwäche, frevelhafter Selbſt- ſucht und gelegentlich aus einem Reſt urſprünglicher Gutmüthigkeit zuſammengeſezt, vor Andern, wie zum Theil auch vor ſich ſelber, einen Schein von Vortreff- lichkeit zu erhalten und vor dem eigenen Gewiſſen jede Unthat zu rechtfertigen wiſſe, es laſſe ſich ein Grad von Verſtellung denken, der alle gewöhnlichen Begriffe überſteige. Der genaue Umgang Theobalds mit Larkens, ſo wenig ſie dem Leztern bis jezt mißtraut hatte, konnte ſie nun, wenn ſie ſich der Meinungen Anderer erinnerte, in ihrem Urtheile nur beſtärken,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0237"n="229"/>
glaublichen Veränderung ſchuldig gemacht, was würde<lb/>
das <hirendition="#g">Conſtanzen</hi> helfen? was hätte ſie von einem<lb/>ſolchen Manne zu gewarten? wie möchte ſie ein an-<lb/>
deres Geſchöpf um ſeine theuerſten Hoffnungen be-<lb/>ſtehlen? und ein Geſchöpf, das ſie wirklich nicht haſſen<lb/>
konnte, das Allem nach das rührendſte Bild der Un-<lb/>ſchuld, der hingebenden Liebe iſt? ja, wie konnte ihr<lb/>
die heißeſte Liebe <hirendition="#g">Theobalds</hi> nur im Entfernten<lb/>
noch ſchmeicheln, wenn dieſe der ſündige Raub an einem<lb/>
fremden guten Weſen wäre?</p><lb/><p>Aber noch immer war ja die Frage nicht über-<lb/>
wunden, wie nur <hirendition="#g">Nolten</hi> eines ſo beiſpielloſen Be-<lb/>
trugs fähig ſeyn konnte?</p><lb/><p><hirendition="#g">Conſtanzens</hi> Auge ſtand weit, groß, nachden-<lb/>
kend in einen Winkel des Zimmers gerichtet, während<lb/>
ihr Geiſt ſich nach und nach den unglückſeligen Gedan-<lb/>
ken zurecht arbeitete: es könne denn doch wohl einen<lb/>
Menſchen geben, der aus Schwäche, frevelhafter Selbſt-<lb/>ſucht und gelegentlich aus einem Reſt urſprünglicher<lb/>
Gutmüthigkeit zuſammengeſezt, vor Andern, wie zum<lb/>
Theil auch vor ſich ſelber, einen Schein von Vortreff-<lb/>
lichkeit zu erhalten und vor dem eigenen Gewiſſen jede<lb/>
Unthat zu rechtfertigen wiſſe, es laſſe ſich ein Grad<lb/>
von Verſtellung denken, der alle gewöhnlichen Begriffe<lb/>
überſteige. Der genaue Umgang <hirendition="#g">Theobalds</hi> mit<lb/><hirendition="#g">Larkens</hi>, ſo wenig ſie dem Leztern bis jezt mißtraut<lb/>
hatte, konnte ſie nun, wenn ſie ſich der Meinungen<lb/>
Anderer erinnerte, in ihrem Urtheile nur beſtärken,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[229/0237]
glaublichen Veränderung ſchuldig gemacht, was würde
das Conſtanzen helfen? was hätte ſie von einem
ſolchen Manne zu gewarten? wie möchte ſie ein an-
deres Geſchöpf um ſeine theuerſten Hoffnungen be-
ſtehlen? und ein Geſchöpf, das ſie wirklich nicht haſſen
konnte, das Allem nach das rührendſte Bild der Un-
ſchuld, der hingebenden Liebe iſt? ja, wie konnte ihr
die heißeſte Liebe Theobalds nur im Entfernten
noch ſchmeicheln, wenn dieſe der ſündige Raub an einem
fremden guten Weſen wäre?
Aber noch immer war ja die Frage nicht über-
wunden, wie nur Nolten eines ſo beiſpielloſen Be-
trugs fähig ſeyn konnte?
Conſtanzens Auge ſtand weit, groß, nachden-
kend in einen Winkel des Zimmers gerichtet, während
ihr Geiſt ſich nach und nach den unglückſeligen Gedan-
ken zurecht arbeitete: es könne denn doch wohl einen
Menſchen geben, der aus Schwäche, frevelhafter Selbſt-
ſucht und gelegentlich aus einem Reſt urſprünglicher
Gutmüthigkeit zuſammengeſezt, vor Andern, wie zum
Theil auch vor ſich ſelber, einen Schein von Vortreff-
lichkeit zu erhalten und vor dem eigenen Gewiſſen jede
Unthat zu rechtfertigen wiſſe, es laſſe ſich ein Grad
von Verſtellung denken, der alle gewöhnlichen Begriffe
überſteige. Der genaue Umgang Theobalds mit
Larkens, ſo wenig ſie dem Leztern bis jezt mißtraut
hatte, konnte ſie nun, wenn ſie ſich der Meinungen
Anderer erinnerte, in ihrem Urtheile nur beſtärken,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/237>, abgerufen am 24.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.