Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832. Suntrard. Ganz recht, und seine Locken sind noch braun, sie welken nicht. Löwener. Laßt's gut seyn! ist schon spät. Das Licht dort in der äußersten Ecke vom Schloß ist auch schon aus. Dort wohnt Herr Harry, der bleibt am längsten auf. Will noch eine Weile in die Schenke. Gut Nacht! Suntrard. Schlaf' wohl, Freund Löwener. Komm' Knabe, gehen zur Mutter. Zweite Scene. Oeder Strand. Im Norden. Weber allein. Hier pflegt er umzugehn, dieß ist der Strand, Den er einförmig mit den Schritten mißt. Mich wundert, wo er bleiben mag. Vielleicht Trieb ihn sein irrer Sinn auf andre Pfade, Denn oft konnt' ich gewahren, daß sein Geist Und Körper auf verschied'ner Fährte geh'n. O wunderbar! mich jammert sein Geschick, Denk' ich daran, was doch kaum glaublich scheint, Daß die Natur in einem Sterblichen Sich um Jahrhunderte selbst überlebt -- Wie? tausend Jahre? -- tausend -- ja nun wird mir Zum ersten Male plötzlich angst und enge, Suntrard. Ganz recht, und ſeine Locken ſind noch braun, ſie welken nicht. Löwener. Laßt’s gut ſeyn! iſt ſchon ſpät. Das Licht dort in der äußerſten Ecke vom Schloß iſt auch ſchon aus. Dort wohnt Herr Harry, der bleibt am längſten auf. Will noch eine Weile in die Schenke. Gut Nacht! Suntrard. Schlaf’ wohl, Freund Löwener. Komm’ Knabe, gehen zur Mutter. Zweite Scene. Oeder Strand. Im Norden. Weber allein. Hier pflegt er umzugehn, dieß iſt der Strand, Den er einförmig mit den Schritten mißt. Mich wundert, wo er bleiben mag. Vielleicht Trieb ihn ſein irrer Sinn auf andre Pfade, Denn oft konnt’ ich gewahren, daß ſein Geiſt Und Körper auf verſchied’ner Fährte geh’n. O wunderbar! mich jammert ſein Geſchick, Denk’ ich daran, was doch kaum glaublich ſcheint, Daß die Natur in einem Sterblichen Sich um Jahrhunderte ſelbſt überlebt — Wie? tauſend Jahre? — tauſend — ja nun wird mir Zum erſten Male plötzlich angſt und enge, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0161" n="153"/> <sp who="#sun"> <speaker><hi rendition="#g">Suntrard</hi>.</speaker><lb/> <p>Ganz recht, und ſeine Locken ſind noch braun,<lb/> ſie welken nicht.</p> </sp><lb/> <sp who="#loe"> <speaker><hi rendition="#g">Löwener</hi>.</speaker><lb/> <p>Laßt’s gut ſeyn! iſt ſchon ſpät. Das Licht dort<lb/> in der äußerſten Ecke vom Schloß iſt auch ſchon aus.<lb/> Dort wohnt Herr Harry, der bleibt am längſten<lb/> auf. Will noch eine Weile in die Schenke. Gut Nacht!</p> </sp><lb/> <sp who="#sun"> <speaker><hi rendition="#g">Suntrard</hi>.</speaker><lb/> <p>Schlaf’ wohl, Freund Löwener. Komm’ Knabe,<lb/> gehen zur Mutter.</p> </sp> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">Zweite Scene</hi>.</head><lb/> <stage>Oeder Strand. Im Norden.</stage><lb/> <sp who="#koll"> <speaker> <hi rendition="#g">Weber</hi> </speaker> <stage>allein.</stage><lb/> <p>Hier pflegt er umzugehn, dieß iſt der Strand,<lb/> Den er einförmig mit den Schritten mißt.</p><lb/> <p>Mich wundert, wo er bleiben mag. Vielleicht<lb/> Trieb ihn ſein irrer Sinn auf andre Pfade,<lb/> Denn oft konnt’ ich gewahren, daß ſein Geiſt<lb/> Und Körper auf verſchied’ner Fährte geh’n.</p><lb/> <p>O wunderbar! mich jammert ſein Geſchick,<lb/> Denk’ ich daran, was doch kaum glaublich ſcheint,<lb/> Daß die Natur in einem Sterblichen<lb/> Sich um Jahrhunderte ſelbſt überlebt —<lb/> Wie? tauſend Jahre? — tauſend — ja nun wird mir<lb/> Zum erſten Male plötzlich angſt und enge,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [153/0161]
Suntrard.
Ganz recht, und ſeine Locken ſind noch braun,
ſie welken nicht.
Löwener.
Laßt’s gut ſeyn! iſt ſchon ſpät. Das Licht dort
in der äußerſten Ecke vom Schloß iſt auch ſchon aus.
Dort wohnt Herr Harry, der bleibt am längſten
auf. Will noch eine Weile in die Schenke. Gut Nacht!
Suntrard.
Schlaf’ wohl, Freund Löwener. Komm’ Knabe,
gehen zur Mutter.
Zweite Scene.
Oeder Strand. Im Norden.
Weber allein.
Hier pflegt er umzugehn, dieß iſt der Strand,
Den er einförmig mit den Schritten mißt.
Mich wundert, wo er bleiben mag. Vielleicht
Trieb ihn ſein irrer Sinn auf andre Pfade,
Denn oft konnt’ ich gewahren, daß ſein Geiſt
Und Körper auf verſchied’ner Fährte geh’n.
O wunderbar! mich jammert ſein Geſchick,
Denk’ ich daran, was doch kaum glaublich ſcheint,
Daß die Natur in einem Sterblichen
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/161>, abgerufen am 22.02.2025. |