Theil Ihre Produktion wäre; Sie haben sich in Ihrem Leben nie auf Fremdes verlegt." Der Maler bat wiederholt um die Schilderung der befragten Stücke.
"Ich beschreibe Ihnen also, weil Sie es verlangen, ihr eigen Werk," hub der alte Herr, sich niedersetzend, an, "aber kurz, und korrigiren Sie mich gleich, wenn ich wo fehle. -- Das ausgeführte Oelgemälde zeigt uns, wie einer Wassernymphe ein schöner Knabe auf dem Kahn von einem Satyr zugeführt wird. Jene bildet neben einigen Meerfelsen linker Hand die vorderste Figur. Sie drückt sich, vorgeneigt und bis an die Hüften im Wasser, fest an den Rand des Nachens, indem sie mit erhobenen Armen den reizenden Gegenstand ihrer Wünsche zu empfangen sucht. Der schlanke Knabe beugt sich angstvoll zurück und streckt, doch unwillkürlich, Einen Arm entgegen; hauptsächlich mag es der Zauber ihrer Stimme seyn, was ihn unwiderstehlich anzieht, denn ihr freundlicher Mund ist halb geöffnet und stimmt rührend zu dem Verlangen des warmen Blicks. Hier erkannte ich Ihren Pinsel, Ihr Kolorit, Ihren unnachahmlichen Hauch, o Tillsen, hier rief ich Ih- ren Namen aus. Das Gesicht der Nymphe ist fast nur Profil, der schiefe Rücken und eine Brust ist sichtbar; unvergleichlich das nasse, blonde Haar. Bei der Sen- kung einer Welle zeigt sich wenig der Ansatz des ge- schuppten Fischkörpers, in der Nähe schlägt der thie- rische Schwanz aus dem grünen Wasser, aber man vergißt das Ungeheuer über der Schönheit des mensch-
Theil Ihre Produktion wäre; Sie haben ſich in Ihrem Leben nie auf Fremdes verlegt.“ Der Maler bat wiederholt um die Schilderung der befragten Stücke.
„Ich beſchreibe Ihnen alſo, weil Sie es verlangen, ihr eigen Werk,“ hub der alte Herr, ſich niederſetzend, an, „aber kurz, und korrigiren Sie mich gleich, wenn ich wo fehle. — Das ausgeführte Oelgemälde zeigt uns, wie einer Waſſernymphe ein ſchöner Knabe auf dem Kahn von einem Satyr zugeführt wird. Jene bildet neben einigen Meerfelſen linker Hand die vorderſte Figur. Sie drückt ſich, vorgeneigt und bis an die Hüften im Waſſer, feſt an den Rand des Nachens, indem ſie mit erhobenen Armen den reizenden Gegenſtand ihrer Wünſche zu empfangen ſucht. Der ſchlanke Knabe beugt ſich angſtvoll zurück und ſtreckt, doch unwillkürlich, Einen Arm entgegen; hauptſächlich mag es der Zauber ihrer Stimme ſeyn, was ihn unwiderſtehlich anzieht, denn ihr freundlicher Mund iſt halb geöffnet und ſtimmt rührend zu dem Verlangen des warmen Blicks. Hier erkannte ich Ihren Pinſel, Ihr Kolorit, Ihren unnachahmlichen Hauch, o Tillſen, hier rief ich Ih- ren Namen aus. Das Geſicht der Nymphe iſt faſt nur Profil, der ſchiefe Rücken und eine Bruſt iſt ſichtbar; unvergleichlich das naſſe, blonde Haar. Bei der Sen- kung einer Welle zeigt ſich wenig der Anſatz des ge- ſchuppten Fiſchkörpers, in der Nähe ſchlägt der thie- riſche Schwanz aus dem grünen Waſſer, aber man vergißt das Ungeheuer über der Schönheit des menſch-
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Theil Ihre Produktion wäre; Sie haben ſich in
Ihrem Leben nie auf Fremdes verlegt.“ Der Maler
bat wiederholt um die Schilderung der befragten Stücke.
„Ich beſchreibe Ihnen alſo, weil Sie es verlangen,
ihr eigen Werk,“ hub der alte Herr, ſich niederſetzend,
an, „aber kurz, und korrigiren Sie mich gleich, wenn
ich wo fehle. — Das ausgeführte Oelgemälde zeigt uns,
wie einer Waſſernymphe ein ſchöner Knabe auf dem
Kahn von einem Satyr zugeführt wird. Jene bildet
neben einigen Meerfelſen linker Hand die vorderſte
Figur. Sie drückt ſich, vorgeneigt und bis an die Hüften
im Waſſer, feſt an den Rand des Nachens, indem ſie
mit erhobenen Armen den reizenden Gegenſtand ihrer
Wünſche zu empfangen ſucht. Der ſchlanke Knabe
beugt ſich angſtvoll zurück und ſtreckt, doch unwillkürlich,
Einen Arm entgegen; hauptſächlich mag es der Zauber
ihrer Stimme ſeyn, was ihn unwiderſtehlich anzieht,
denn ihr freundlicher Mund iſt halb geöffnet und
ſtimmt rührend zu dem Verlangen des warmen Blicks.
Hier erkannte ich Ihren Pinſel, Ihr Kolorit, Ihren
unnachahmlichen Hauch, o Tillſen, hier rief ich Ih-
ren Namen aus. Das Geſicht der Nymphe iſt faſt nur
Profil, der ſchiefe Rücken und eine Bruſt iſt ſichtbar;
unvergleichlich das naſſe, blonde Haar. Bei der Sen-
kung einer Welle zeigt ſich wenig der Anſatz des ge-
ſchuppten Fiſchkörpers, in der Nähe ſchlägt der thie-
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vergißt das Ungeheuer über der Schönheit des menſch-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/15>, abgerufen am 23.12.2024.
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