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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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nicht ungerne bestärken ließ. Wirklich rührend war
es anzusehen, mit welcher Begierde sie jedes Wort
einschluckte, das man zum Beweis eines offenbaren Be-
trugs vorbringen mochte. Auf ihrem zwischen Angst
und dankbarer Freude wechselnden Gesichte malten sich
die lezten Zuckungen des abergläubischen Gewissens,
dem die vernünftige Beredsamkeit des Vaters nun den
Todesstoß gab. Dennoch fühlte sie noch immer eine
Art von Zwiespalt im Innern, sie fand sich schwer zu-
recht, und wie der Blindgewesene sich nur langsam wie-
der an das Licht gewöhnt, das alle Welt erfreut, so
dauerte es einige Zeit, bis Agnes ihr Glück zu fassen
vermochte, bis sie es wagte, sich den andern Menschen
wieder gleich zu stellen. Oft kam es ihr noch vor, als
ob irgend ein finsterer Zeuge ihres Schicksals hinter
ihrem Rücken lauschte und auf Rache denke, weil sie
seinen Banden entsprungen. Aber der Verbrecher,
der durch eine feierliche Absolution aus dem Munde
des heiligen Vaters mit Einem Mal sich einer ganzen
Hölle entbunden fühlt, kann nicht leichter athmen als
Agnes, nachdem endlich das düstere Phantom für
immer verabschiedet war. Wie ganz anders konnte sie
nun an Nolten denken! Wie herzhaft prüfte ihre
Liebe wieder die alte Freiheit ihrer Flügel! Wie un-
gewohnt erschien ihr Alles, was in Bezug auf ihn
gesagt oder gethan ward! Sprach Jemand seinen
Namen aus, so konnte sie den Namen mit seligem Be-
fremden vor sich wiederholen und mit Entzücken rief

nicht ungerne beſtärken ließ. Wirklich rührend war
es anzuſehen, mit welcher Begierde ſie jedes Wort
einſchluckte, das man zum Beweis eines offenbaren Be-
trugs vorbringen mochte. Auf ihrem zwiſchen Angſt
und dankbarer Freude wechſelnden Geſichte malten ſich
die lezten Zuckungen des abergläubiſchen Gewiſſens,
dem die vernünftige Beredſamkeit des Vaters nun den
Todesſtoß gab. Dennoch fühlte ſie noch immer eine
Art von Zwieſpalt im Innern, ſie fand ſich ſchwer zu-
recht, und wie der Blindgeweſene ſich nur langſam wie-
der an das Licht gewöhnt, das alle Welt erfreut, ſo
dauerte es einige Zeit, bis Agnes ihr Glück zu faſſen
vermochte, bis ſie es wagte, ſich den andern Menſchen
wieder gleich zu ſtellen. Oft kam es ihr noch vor, als
ob irgend ein finſterer Zeuge ihres Schickſals hinter
ihrem Rücken lauſchte und auf Rache denke, weil ſie
ſeinen Banden entſprungen. Aber der Verbrecher,
der durch eine feierliche Abſolution aus dem Munde
des heiligen Vaters mit Einem Mal ſich einer ganzen
Hölle entbunden fühlt, kann nicht leichter athmen als
Agnes, nachdem endlich das düſtere Phantom für
immer verabſchiedet war. Wie ganz anders konnte ſie
nun an Nolten denken! Wie herzhaft prüfte ihre
Liebe wieder die alte Freiheit ihrer Flügel! Wie un-
gewohnt erſchien ihr Alles, was in Bezug auf ihn
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[136/0144] nicht ungerne beſtärken ließ. Wirklich rührend war es anzuſehen, mit welcher Begierde ſie jedes Wort einſchluckte, das man zum Beweis eines offenbaren Be- trugs vorbringen mochte. Auf ihrem zwiſchen Angſt und dankbarer Freude wechſelnden Geſichte malten ſich die lezten Zuckungen des abergläubiſchen Gewiſſens, dem die vernünftige Beredſamkeit des Vaters nun den Todesſtoß gab. Dennoch fühlte ſie noch immer eine Art von Zwieſpalt im Innern, ſie fand ſich ſchwer zu- recht, und wie der Blindgeweſene ſich nur langſam wie- der an das Licht gewöhnt, das alle Welt erfreut, ſo dauerte es einige Zeit, bis Agnes ihr Glück zu faſſen vermochte, bis ſie es wagte, ſich den andern Menſchen wieder gleich zu ſtellen. Oft kam es ihr noch vor, als ob irgend ein finſterer Zeuge ihres Schickſals hinter ihrem Rücken lauſchte und auf Rache denke, weil ſie ſeinen Banden entſprungen. Aber der Verbrecher, der durch eine feierliche Abſolution aus dem Munde des heiligen Vaters mit Einem Mal ſich einer ganzen Hölle entbunden fühlt, kann nicht leichter athmen als Agnes, nachdem endlich das düſtere Phantom für immer verabſchiedet war. Wie ganz anders konnte ſie nun an Nolten denken! Wie herzhaft prüfte ihre Liebe wieder die alte Freiheit ihrer Flügel! Wie un- gewohnt erſchien ihr Alles, was in Bezug auf ihn geſagt oder gethan ward! Sprach Jemand ſeinen Namen aus, ſo konnte ſie den Namen mit ſeligem Be- fremden vor ſich wiederholen und mit Entzücken rief

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/144>, abgerufen am 25.11.2024.